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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin
Autoren: Birgit Jaeckel
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welche die Vernichtung eines ganzen Volkes sah.

12 . Kapitel
    D ie Kimbern, einst einer der größten und stolzesten Stämme des Nordens, gab es nicht mehr. Das Unvorstellbare war geschehen – Bilder, die Marcus sein ganzes Leben lang verfolgen würden: Frauen, in schwarze Gewänder gekleidet, kreischende Furien, die sich auf ihre Männer, Brüder, Söhne stürzten und sie zurücktrieben in einen Kampf, vor dem sie vergebens flohen. Marcus hatte ein Weib gesehen, das sich selbst erhängte, um nicht in die Hände der Römer zu fallen, aufgespießte Kinder, Säuglinge, gegen Wagen geschmettert, bis die kleinen Schädel wie überreife Früchte platzten. Ochsen, die erwachsene Männer niedertrampelten, schmorende Planen, brennende Kleider und Haare und kein Entrinnen.
    Marcus und Flaccus waren zu sich gekommen, gerade rechtzeitig, um das Ende des Tages noch mitzuerleben. Sie hatten sich nach Norden geschleppt, über ein Feld aus hellhaarigen Leichen hinweg, die im Sterben an Hünenhaftigkeit verloren zu haben schienen. Die Legionen waren mittlerweile bis zum Lager der Kimbern vorgestoßen, dessen Verschanzungen den Bewohnern jedoch keinen Schutz mehr boten. Manche nordische Krieger hatten sich als letzte Verteidigungslinie vor der Wagenburg Ketten durch die Gürtel gezogen und sich so aneinandergebunden, um nicht getrennt zu werden. Auf diese Art waren sie vereint gestorben, die Namen ihrer fremden Götter auf den Lippen, auf denen Speichel und Blut gleichermaßen verdunsteten. Unzählige Nordmänner wählten den Freitod. Andere starben bei dem Versuch, zu ihren Familien zu gelangen. Ganze Sippen wurden innerhalb weniger Atemzüge niedergemetzelt, der Rest gefangen genommen, um in Ketten oder Lederriemen gebunden der Sklaverei zu harren, während römische Soldaten alles tragbare Beutegut an sich rafften. Junge Frauen boten Legionären ihren Körper an, wenn sie nur die Kinder verschonten, doch niemand verstand sie und falls doch, schien es die wenigsten zu interessieren.
    In all dem sinnezerfleischenden Wahnsinn kam Marcus nicht weit, bevor er sich übergeben musste und in einem Schwächeanfall zusammenbrach, Flaccus mit ebenso zitternden Gliedern an seiner Seite. Sie lehnten sich gegen eine zerbrochene Deichsel, neben der die Leiche einer nordischen Priesterin lag. Es war keine Wunde an ihr zu sehen, sie lag einfach da wie im Schlaf, wäre nicht der Strick um ihren Hals gewesen, und es war gleichgültig, ob er von einem Römer, einem Kimbern oder gar von ihr selbst geknüpft worden war. Als es dunkel wurde, brachte ein Legionär Marcus und Flaccus Wasser, das Gesicht im Schein der brennenden Wägen leuchtend rot, als hätte selbst die Nachtluft das vergossene Blut in sich aufgesaugt und überzöge nun träge und gesättigt damit die Welt. Er zeigte ihnen, wo die Verwundeten versorgt wurden, doch die beiden schüttelten lediglich die pochenden Köpfe. Am liebsten hätten sie geschlafen, aber wie konnte man schlafen an einem Ort wie diesem, wo die Geister der Nordleute um sie herum heulten und nur das Feiern der Römer, das Klagen der Gefangenen und die Stille dazwischen zu laut waren, um sie nicht zu hören?
    Marcus konnte nicht aufhören, an den Mann zu denken, der ihn niedergeschlagen hatte. Er erzählte Flaccus von ihm, aber sein Freund wusste mit der Erzählung nichts anzufangen. Er zuckte mit den Schultern, dankte Marcus, weil er ihn verteidigt hatte, und starrte dann dumpf vor sich hin, hinein in die durch die zerstörten Verschanzungen kriechende Dunkelheit. Daher blieb Marcus allein mit seiner Verwirrung, dem seltsamen Gefühl, dass ihm etwas Schreckliches und Großes zugleich widerfahren war. Er hatte überlebt, genau wie Flaccus – war es das? Er hatte Mut bewiesen – wie er es immer erträumt hatte. Die Legionen hatten gesiegt und die barbarische Gefahr gebannt. Rom war in Sicherheit. Seine Familie. Warum war er dann nicht stolz?
    Ich wünschte, ich wüsste, was er zu mir gesagt hat.
Dieser Nordmann mit seiner rauhen Sprache, die dennoch seltsam sanft geklungen hatte, beinahe bedauernd. Wie sein Vater, der ihn einmal unter den Augen eines Nachbarn hatte verprügeln müssen, weil dieser behauptete, Marcus hätte seine Schuhe gestohlen, obwohl ein Hund sie gefressen hatte und niemand etwas dafür konnte.
    Ob der Fremde überlebt hatte? Als Marcus über die Felder gestolpert war, hatte er nach ihm Ausschau gehalten: nach einem großen Mann mit himmelfarbenen Augen, klaren Zügen, einem breiten Mund und
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