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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin
Autoren: Birgit Jaeckel
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abermals an, sie vorbeizulassen, aber Rascil hörte sie schon nicht mehr. Sie legte den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus, die Handflächen dem Himmel zugewandt, während sie heiser ihre Götter anrief, einen Fluch aus Blut und Hagel heraufbeschwor. Die stolze Gestalt der Priesterin schien in den Himmel zu wachsen. Ihr silbergraues Haar bewegte sich in einer leichten Brise, die einzig auf Rascils Ruf hin über das Schlachtfeld zu wehen schien, und das Sonnenlicht funkelte rotgolden auf der Spitze ihres Dolches.
    Talia rammte ihr das kleine Messer in die Brust.
    »Behalte deine Götter!«, stieß sie hervor, als sie an Rascil vorbeilief, so nahe, dass ihr Ellbogen den Arm der Priesterin streifte. Rascils Kinn sank nach unten. Ungläubig stierte sie auf den schäbigen Griff des Werkzeugs, das in ihrer Brust stak. Die alte Frau, die kurz darauf tot zu Boden fiel, hatte allen Glanz verloren.
    Atharic hörte Sumelis’ Flehen über den Kampflärm hinweg, wie sie verzweifelt nach Nando rief, und entschied, dass er Boiorix weit genug von der Stelle, wo sein Sohn lag, fortgelockt hatte. Der Kimbernkönig näherte sich ihm nach wie vor mit vorsichtigen Bewegungen. Einmal in ihrer Jugend, vor beinahe dreißig Jahren, als noch kein Kimber daran dachte, die Heimat zu verlassen, hatten sie miteinander gekämpft. Ein Geplänkel zweier Halbwüchsiger mit Holzschwertern, dennoch hätte es beinahe tödlich für sie beide geendet. Danach waren sie wie zwei Bären gewesen, die sich knurrend und prankenschlagend umkreisten, aber niemals wieder ernsthaft kämpften. Boiorix schien das gleiche Bild vor Augen zu haben.
    »Ich hätte dich damals schon töten sollen«, grollte er und hieb nach Atharics von keinem Schild geschützter Seite. Atharic wich aus. Er konnte den Blick nicht von dem Geschehen hinter Boiorix lassen, wo Talia gerade ihr Messer in die Brust einer Priesterin stach und dann zu ihrer Tochter hastete. Talia kniete neben Nandos Kopf nieder. Sie legte eine Hand auf seinen Hals, nach dem Takt des Lebens tastend, der immer schwächer wurde. Sumelis schüttelte tränenüberströmt den Kopf.
    »Ich kann ihn nicht halten!« Panisch berührte sie Nando überall, an den Armen, den Händen, den Wangen, der Brust, als ob sie nach einem Eingang suchte, der sie einlassen würde, um seine Seele festzuhalten, ihn zu retten. Noch niemals hatte sie sich so ohnmächtig gefühlt.
    »Ich verliere ihn! Seine Seele – ich kann nicht …« Sumelis’ Stimme versagte. Sie hatte sich den Saum des Priesterinnengewands zerrissen und presste einen zusammengeknüllten Stofffetzen mit aller Kraft auf die Schwertwunde in Nandos Seite. Ihre Hände zitterten jedoch so sehr, dass sie das Tuch nicht halten konnte. Talia schob sie beiseite, bemühte sich ihrerseits, den Blutfluss zu stoppen. Sie war Sumelis so nahe, dass sie deren Leid in ihrem Innersten spürte, eine brennende Hand, die sich um ihr Herz schloss und es versengte. Sumelis versuchte, ihre Seele in Nandos zu krallen, ihn zurückzuzerren von den Pforten der Anderen Welt und des Todes, wie Talia es selbst einst bei ihrem Vater getan hatte. Aber ihre Gabe war zu geschwächt, zu kraftlos, um den Funken zu fassen, der durch eine vereiste Oberfläche brach, aufglühte und sich dann langsam in der Ferne verlor.
    »Hilf mir, Mama!«, weinte Sumelis verzweifelt, während Nandos Leben zwischen ihren Fingern und ihrem machtlosen Geist zerrann. Aber Talia konnte ihr nicht helfen. Nandos schattige Seele war ihr zu fremd, der Sog des Todes zu stark, und so waren all ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Das Einzige, was ihr gelang, war, jenes Blitzen, das Nandos Seele zeichnete, einen Moment lang aufzuhalten. Sein Verschwinden zu verlangsamen, damit Sumelis sich ein letztes Mal ausstrecken konnte, um ihn zu berühren. Wie eine Hand, die sich zum Abschied hebt, ein letztes Streicheln, in das sich ein gellender stummer Schrei mischte, der hunderttausend Kämpfer, Römer wie Kimbern, einen Moment lang in unbegreiflichem Grauen erstarren ließ. Einen Herzschlag lang herrschte Stille über dem Schlachtfeld, bevor die Soldaten den Entsetzenshauch als Sinnestäuschung abtaten, das Tosen mit Macht zurückkehrte und die Römer sich sammelten, um die Kimbern ein für alle Mal zu vernichten.
    Sumelis’ Schrei fand sein Echo in Atharics Brust: das Zerreißen eines Stoffes, in den die Bilder eines Kindes gewoben waren: eines Sechsjährigen, der ihm seinen ersten selbstgefertigten Pfeil schenkte, eines
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