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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe
Autoren: Nicci French
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einer Seite zur anderen. Ich entdeckte darin eine Spur von Faszination, aber auch Nervosität.
    Was würde jetzt kommen?
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sehen Sie den Mann drüben an der Bar, der gerade mit dem Mädchen schimpft?«
    »Ja.«
    »Finden Sie ihn rüpelhaft?«
    »Ich glaube schon. Ja.«
    »Dann gehen Sie doch rüber, und sagen Sie ihm, dass er aufhören und sich für sein Verhalten entschuldigen soll.«
    Todd wollte etwas antworten, begann aber stattdessen zu husten. »Seien Sie nicht albern!«, stieß er schließlich hervor.
    »Befürchten Sie, dass er Ihnen eine verpasst?«, fragte ich. »Ich dachte, Sie mögen die Gefahr.«
    Todds Miene wurde hart. Das war nicht mehr lustig. Er hatte soeben aufgehört, mich nett zu finden. »Das ist doch bloß was für Angeber«, sagte er.
    »Sie haben Angst davor.«
    »Natürlich habe ich Angst.«
    »Wenn Sie Angst davor haben, dann können Sie dieses Gefühl nur loswerden, indem Sie es tun. Das ist wie Sporttauchen zwischen Haien. Aber ohne den Käfig.«

    »Nein.«
    Ich stellte meine beiden Gläser auf einem Tisch ab. »Na gut«, sagte ich. »Dann mache ich es eben.«
    »Nein, Holly, nicht …«, widersprachen Meg und Todd gleichzeitig.
    Das war genau die Ermutigung, die ich noch gebraucht hatte.
    Ich ging zu dem Mann an der Bar. Er trug einen Anzug. Alle Männer im Raum trugen Anzüge. Er war etwa Mitte dreißig, und sein Haar begann sich bereits zu lichten. Sein Gesicht sah rot aus. Erst jetzt erkannte ich, wie groß er war. Sein Jackett spannte über seinen breiten Schultern. Außerdem befand er sich in Begleitung zweier anderer Männer. Gerade sagte er wieder etwas mehr oder weniger Unverständliches zu der Frau.
    »Was läuft hier ab?«, fragte ich.
    Überrascht drehte er sich um. »Wer, zum Teufel, sind Sie?«
    Seine Stimme klang wütend.
    »Sie sollten sich bei dieser Frau entschuldigen«, erklärte ich.
    »Was?«
    »So redet man nicht mit einem anderen Menschen. Sie sollten sich entschuldigen.«
    »Verpissen Sie sich.«
    Er sagte das mit besonderer Betonung auf dem P, sodass zwischen den ersten beiden Silben eine kleine Pause entstand.
    Bildete er sich ein, dass ich wieder gehen würde? Dass ich in Tränen ausbrechen würde? Ich griff nach seinem Glas auf dem Tresen. Es war ein Whiskyglas. Ich schwang es in seine Richtung und hielt erst ganz knapp vor seinem Kinn inne. Ich hätte jetzt gerne gesagt, dass der ganze Raum verstummte wie in einem alten Western, aber nur in unserer unmittelbaren Nähe erregte das Ganze ein wenig Aufmerksamkeit. Der Mann starrte auf das Glas hinunter, als versuchte er den Knoten seiner etwas gelockerten Krawatte in Augenschein zu nehmen. Man sah ihm an, dass er rasch überlegte: Ist diese Frau verrückt? Wird sie mir wirklich ein Glas ins Gesicht knallen? Wegen dieser Lappalie?
    Und mir selbst hätte eigentlich etwas ganz Ähnliches durch den Kopf gehen müssen: Wenn er fähig war, eine x-beliebige Barfrau zu beleidigen und anzuschreien, weil sie ihm das falsche Getränk serviert hatte, was würde er dann mit mir machen, nachdem ich ihn physisch bedroht hatte? Außerdem hätte mir der Gedanke kommen können, der Todd wahrscheinlich nervös gemacht hatte: dass dieser Mann womöglich gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Dass er vielleicht einen Hang zur Gewalttätigkeit hatte. Unter Umständen machte es ihm besonderen Spaß, auf Frauen loszugehen. Aber das alles kam mir gar nicht in den Sinn. Ich starrte ihn einfach nur an. Spürte das Blut in meinem Hals pulsieren. Empfand das schwindelerre-gende Gefühl, nicht zu wissen, was in den nächsten fünf Minuten geschehen würde.
    Plötzlich entspannte sich das Gesicht des Mannes, und er lächelte. »Meinetwegen«, sagte er. Vorsichtig nahm er mir das Glas aus der Hand, als könnte es explodieren. Er leerte es in einem Zug. »Unter einer Bedingung.«
    »Und die wäre?«
    »Ich darf Sie auf einen Drink einladen.«
    Mein erster Impuls war, Nein zu sagen, aber als ich mich nach Todd und Meg umsah, stellte ich fest, dass sie verschwunden waren. Hatten sie Angst vor dem gehabt, was vielleicht passieren würde? Oder waren sie erst gegangen, nachdem sie gesehen hatten, was tatsächlich passierte? Ich zuckte mit den Achseln.
    »Nur zu«, sagte ich.
    Er machte jetzt richtig auf Gentleman. Nachdem er die nervöse Barfrau herbeigewinkt hatte, nickte er in meine Richtung.
    »Diese Frau – wie heißen Sie?«
    »Holly Krauss«, antwortete ich.
    »Miss Holly Krauss hat mich darauf hingewiesen,
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