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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe
Autoren: Nicci French
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erleben oder wenigstens besser, als wir es gewöhnt sind. Wenn es dann aber so weit ist – wenn wir den Klub verlassen und unsere Klamotten ausgezogen haben –, läuft es am Ende doch nur auf einen pickeligen Rücken und ein fleckiges Laken hinaus, eine schreckliche Wohnung irgendwo in einem miesen Stadtteil von London, wo man noch nie gewesen ist, und ein glitschiges Kondom auf dem Teppich, bei dessen Anblick man am liebsten kotzen würde. Ich dachte daran, in die Küche hinunterzugehen, mich zu Charlie zu setzen und ihm zu sagen, was in der Nacht zuvor geschehen war, während er friedlich in unserem Bett geschlafen hatte. Wie dumm und widerlich das gewesen war. Wie überflüssig. Ich stellte mir vor, wie sein Gesichtsausdruck sich verändern würde, während ich es ihm erzählte. Voller Scham verkroch ich mich noch tiefer unter meine Bettdecke und stöhnte laut. Was ich getan hatte, erfüllte mich selbst mit Ekel. Ach, könnte ich doch nur die Uhr zurückdrehen und gemeinsam mit Meg aus der Kneipe verschwinden … Den Lärm, das Licht und das Lachen hinter mir lassen und zu meinem Mann heimfahren, um unter einer sauberen Bettdecke neben ihm einzuschlafen und an diesem Morgen mit reinem Gewissen aufzuwachen … Ach, könnte ich doch nur, ach, könnte ich doch nur …
    Ein Teil von mir wusste nur allzu gut, dass sich dadurch mein Leben verändert hatte. Eine kleine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir ständig zu: »Du hast Ehebruch begangen.«
    Ich konnte mich an den Religionsunterricht in der Schule erinnern, an Bruchstücke aus der Bibel, in denen es darum ging, dass man Ehebruch auch im Herzen begehen konnte, indem man jemanden einfach nur lustvoll ansah. Ich aber hatte den Ehebruch weder in meinem Herzen noch in meinem Kopf begangen, sondern mit meinem Körper. Charlie durfte nichts davon erfahren. Es würde ihn zu sehr verletzen und außerdem wie ein großer, sich ausbreitender Fleck alles in unserem Leben be-schmutzen.
    Ich bin eine gute Lügnerin, schon immer gewesen. Seit jenem wundervoll stürmischen, viel versprechenden Herbsttag, an dem ich ihn aufs Standesamt schleifte, gefolgt von den zwei verblüff-ten, leicht verlegenen Trauzeugen, die wir uns einfach von der Straße schnappten, ist es mehrfach vorgekommen, dass ich ihm gegenüber nicht ganz ehrlich war, ihn irgendwie beschummelte oder hinterging, aber niemals so wie letzte Nacht. Das war das erste Mal.
    Ich hörte unten Geschirr klappern und die Post durch den Briefschlitz auf den blanken Holzboden in der Diele fallen.
    Langsam zog ich die Bettdecke von meinem Gesicht und blinzelte ins Licht. Meine Beine schmerzten, meine Augen brannten, und die Drüsen an meinem Hals waren geschwollen.
    Vielleicht bekam ich ja die Grippe, dachte ich voller Hoffnung.
    Dann hätte ich wenigstens einen Grund, mich noch ein wenig länger vor der Welt zu verstecken. Aber ich wusste, dass es keine Grippe war, sondern nur ein Kater und ein schlechtes Gewissen.
    »Raus aus den Federn, Holly!«, befahl ich mir selbst, und wie ein Roboter, der jede Anweisung seines Meisters befolgt, setzte ich mich trotz des Schmerzes, der in meinem Kopf zu pochen begann, auf und schwang die Füße auf den Boden. Ich wartete, bis der Raum zu schwanken aufhörte, und schlurfte dann ins Bad, wo ich mir mit kaltem Wasser das Gesicht wusch.
    Benommen betrachtete ich mich im Spiegel: das dunkelblonde Haar, von dem Charlie immer sagte, es sehe aus wie eine Löwenmähne, die grauen Augen, die mir unter dichten Brauen offen entgegenblickten, den breiten Mund, der mich so strahlend anlächelte. Wie konnte es sein, dass mein Geist von einer dicken schwarzen Schmutzschicht überzogen war, während mein Gesicht so frisch und fröhlich wirkte?
    »Mir kannst du nichts vormachen!«, zischte ich mein Spiegelbild an und verzog dabei das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen. »Ich kenne dich, Holly Krauss. Mich kannst du nicht zum Narren halten!«

    *
    »Fängst du heute um die übliche Zeit an?« Charlie öffnete einen Brief, warf einen Blick darauf und knüllte ihn dann zusammen.
    »Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich habe um neun einen Termin mit Meg. Und vorher muss ich noch jemandem auf die Finger schauen.«
    Charlie drehte sich zu mir um. »Das klingt aber nicht gut.«

    »Ich weiß«, antwortete ich. »Und dann werden wir schuften wie verrückt, alles für kommendes Wochenende vorbereiten.
    Das wird ein Alptraum. Von wem war denn der Brief?«
    »Kommendes Wochenende? Davon weiß ich ja gar
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