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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann
Autoren: Max Bentow
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mir«, sagte sie leise.
    »Waffe fallen lassen«, stammelte Trojan.
    Der andere lächelte bloß.
    »Helfen Sie mir«, sagte die Frau noch einmal.
    »Waffe weg«, schrie Trojan. Aber der andere trat einfach näher, und dann hielt er den Lauf seiner Pistole der Frau an die Schläfe.
    »Schieß doch«, sagte er lächelnd.
    Trojan spürte den Finger am Abzug.
    »Schieß endlich«, sagte der andere.
    Das Gesicht der Frau glitt aus dem Lichtkegel. Da konnte er ihren Blick auffangen, flackernd, voller Angst. Er kannte diese Frau, irgendwo hatte er sie schon einmal gesehen. Er musste sie retten, er musste eine Entscheidung treffen, schnell.
    Doch seine Hand wurde immer schwerer, und das Gesicht des anderen verwandelte sich in eine hässliche Fratze.
    Und dann hörte er den Schuss, heftig, ohrenbetäubend, aber er wusste, er kam nicht aus seiner eigenen Waffe, und das Blut der Frau sprang aus ihrer Schläfe. Getroffen sackte sie in sich zusammen.
    »Ich kann nicht«, flüsterte er und schreckte hoch.
     
    Ihm war, als müsste er ersticken. Er kannte das, er wusste, was nun zu tun war. Sich vorsichtig aufrichten, den Kopf
nicht zu schnell bewegen, sonst könnte ihm schwindlig werden, Licht einschalten, dann das schweißdurchtränkte T-Shirt ausziehen und sich damit Luft zufächeln. Und tief in den Bauch atmen, das war das Wichtigste, die Atemzüge mitzählen, eins, zwei, drei, tiefer und tiefer.
    Trojan stöhnte. Auf seinem Wecker war es kurz nach halb vier, die typische Zeit für eine Panikattacke, die dritte schon innerhalb kürzester Zeit.
    Er erhob sich langsam, wankte in die Küche, knipste auch dort das Licht an und trank ein Glas Wasser. Er war leicht benommen, unsicher, ob er noch träumte.
    Er schlang die Arme um den Oberkörper und bohrte die Fingernägel in seine Haut. Ruhig, nur ruhig, dachte er, ich bin am Leben, ich bin da.
    Für eine Weile überlegte er, ob er hinunter zu Doro gehen sollte, in einer Paniknacht hatte er das einmal getan. Sie hatte ihn in ihr Bett gelassen, wo er sich in ihren Armen beruhigen konnte, während sie leise zu ihm sprach: »Armer kleiner Bulle, armer ängstlicher Bulle.« Das war der vielleicht innigste Moment ihrer merkwürdigen Affäre gewesen. Gern hätte er wieder bei ihr geklopft, aber er traute sich nicht.
    Stattdessen trat er in das kleine Zimmer, in dem vor einiger Zeit noch Emily gewohnt hatte. Er hatte nichts darin verändert, da hing noch immer das Tokio-Hotel-Poster über ihrem Bett, der komische Sängertyp mit der Turmfrisur lächelte ihn an. Wenn Emily ihn besuchte, musste sie jedes Mal lachen und sagte, er solle doch endlich das dämliche Plakat abnehmen.
    Mittlerweile war Emily fünfzehn und wohnte wieder bei ihrer Mutter. Er vermisste sie. Er strich mit der Hand über ihre
Bettdecke, vielleicht sollte er sich einfach hier hinlegen, aber dann entschied er, auf und ab zu gehen, bis er ruhiger wäre.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er rang nach Atem und sah sich um.
    Auf Emilys Bett hockte der kleine Teddybär mit der eingebauten Spieluhr, den nahm er sich, ein Relikt aus ihren Kleinkindjahren, als sie ohne die Melodie von »Au clair de la lune« aus dem Bauch des Teddys nicht einschlafen konnte. Und auch viel später noch hatte sie den Teddy nachts im Arm gehalten, manchmal, wenn Trojan spät von einem Einsatz heimkam und einen Blick auf seine schlafende beinahe erwachsene Tochter warf, hatte ihn das zu Tränen gerührt.
    Er zog an der Schnur, die aus dem Rücken des Teddys kam, und schon ertönte die Melodie.
    Er machte in der ganzen Wohnung Licht. Dunkelheit war gefährlich, im Dunkeln lauerte die Angst. Als er am Spiegel im Flur vorbeikam, erschrak er über sein bleiches Gesicht. Er musste an die Frau aus seinem Traum denken, die er nicht retten konnte, ihren flehenden Blick, ihre überquellenden Augen im Moment des Todes.
    Wieder zog er an der Schnur der Schlafuhr im Inneren des Teddybären, nur gut, dass ihn niemand dabei beobachten konnte.
    Wer war die Frau aus seinem Traum?
    Vom Wohnzimmerfenster aus sah er hinab auf die dunkle Straße. Die Stadt schlief. Nur ganz allmählich sickerte die Dämmerung von Osten herein. Unzählige Male hörte er das Kinderlied an, bis er sich zurück ins Schlafzimmer wagte, wo er erschöpft auf sein Bett sank. In seiner Phantasie wandelte er Zentimeter um Zentimeter durch seinen
Körper, um jede Faser seiner verkrampften Muskeln zu entspannen, doch es gelang ihm nicht.
    Um sieben Uhr schrillte der Wecker. Trojan lag reglos da, den
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