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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann
Autoren: Max Bentow
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verschlungen, Schleifen, Schlingen, ein leises Schwingen wie von einer Musik, er glaubte tatsächlich, die Farbtöne hören zu können, dunkle Klänge, warm und schön.
    Er versuchte sich zu entspannen.
    Er wischte seine rechte Hand am Hosenbein ab, wenn er sie Jana Michels zur Begrüßung reichte, sollte sie unbedingt trocken sein. Ihm war diese Nervosität unangenehm, sie überfiel ihn jedes Mal einige Zeit vor der Sitzung, schon auf dem Weg hierher. Hereingelassen hatte ihn ihr etwas verhuscht wirkender Kollege. Der öffnete auch in diesem Moment die Tür zur Praxis und bat eine Patientin herein.
    Trojan wandte den Kopf ab, er wollte hier nicht gesehen werden. Die beiden verschwanden im Nebenraum, er musste noch warten.
    Dann kam sie endlich. Er erkannte ihre Schritte im Flur, da stand sie schon freundlich lächelnd vor ihm.
    »Hallo, Herr Trojan.«
    »Hallo.«
    Er stand auf und gab ihr die Hand.
    Sie sah umwerfend aus, trug etwas Rotes und Erdfarbenes,
und ihre Haare waren hochgesteckt, so dass er im Vorbeigehen einen Blick auf ihren Nacken erhaschen konnte.
    Sie führte ihn in das Zimmer am Ende des Ganges, er nahm in einem der beiden Ledersessel Platz, während sie sich an den Schreibtisch setzte und wie üblich etwas auf ihrem Laptop schrieb. Das dauerte eine Weile, vermutlich ein Eintrag in seine Akte, er fragte sich jedes Mal, was es sein könnte, welche Diagnose sie ihm verpasste, oder ob es nicht bloß eine Methode war, um ihm die in ihrem Beruf notwendige Distanz zu demonstrieren.
    In Gedanken legte er sich die einleitenden Worte zurecht, er musste ihr von der Paniknacht berichten, aber wenn er sie dort sitzen sah im vom Fenster hereinflutenden Mailicht, das ihr helles Haar zum Leuchten brachte, wollte er viel lieber über die schönen Dinge des Lebens mit ihr sprechen. Er überlegte, ob es allzu verwegen wäre, ihr vorzuschlagen, die heutige Sitzung doch einfach in ein Gartenlokal zu verlegen, das Ganze in einem scherzhaften Ton vorgetragen, der dennoch nicht die ernsthafte Absicht dahinter verbarg.
    Ihr schien nicht zu entgehen, dass er sie beobachtete, denn sie begann zu schmunzeln und murmelte, ohne von ihrem Bildschirm aufzublicken: »Ich bin gleich ganz bei Ihnen, Herr Trojan.«
    Er schluckte.
    So leicht war er also zu durchschauen.
    Dann stand sie auf und strich sich ihren Rock glatt, er registrierte, dass er sehr knapp saß. Wie viele Männer kamen eigentlich am Tag zu ihr? Womöglich mehr Männer
als Frauen, einsame Gestalten, die ihr äußerst intime Geheimnisse anvertrauten.
    Sie setzte sich zu ihm, zwischen ihnen war nur noch das kleine Tischchen, auf dem die Box mit den Taschentüchern bereitstand. Zum Glück waren ihm in ihrem Beisein noch nie die Tränen gekommen. Neben der Box befand sich die kleine digitale Uhr, die Vorderseite stets von ihm abgewandt. Manchmal warf Jana Michels kurze Blicke darauf, ihnen blieb ja bloß eine Dreiviertelstunde in der Woche, und am Ende sprach sie den immer gleichen Satz: »Wir müssen für heute leider Schluss machen, Herr Trojan«, zumeist dann, wenn er sich gerade erst warm geredet hatte.
    Sie lächelte ihm aufmunternd zu, und er wischte sich noch einmal die Hände an den Hosenbeinen ab, bis ihm in den Sinn kam, wie unsouverän das wirken könnte, also verschränkte er die Arme vor der Brust, ließ sie aber gleich darauf wieder sinken, er musste auf seine Körpersprache achten, einer Psychologin entging so etwas nicht.
    Er wollte etwas sagen, doch dann versagte ihm die Stimme. Lange saß er einfach nur schweigend da.
    Jana Michels wartete.
    Er konnte ihren Atem hören, so still war es im Zimmer.
    Schließlich begann er stockend und kaum hörbar zu sprechen: »Ich schrecke immer noch nachts hoch und habe das Gefühl, mein Herz bleibt stehen. Das dauert manchmal Stunden.«
    »Wovor haben Sie Angst, Herr Trojan?«
    »Es muss ein Ende nehmen. Diese Nächte –«
    »Wovor haben Sie Angst?«
    »Ich halte das nicht mehr aus. Da ist ein Traum, der
kommt immer wieder. Ich muss ein Menschenleben retten, aber ich schaffe es nicht.«
    »Fühlen Sie sich überfordert in Ihrem Beruf?«
    »Keine Ahnung.«
    »Würden Sie gern etwas anderes machen?«
    »Ich bin dreiundvierzig.«
    »Und?«
    »Es ist zu spät.«
    »Sagen Sie das nicht.«
    »Doch.«
    »Wenn Sie frei wählen könnten.«
    »Ich bin Bulle, und ich werde immer Bulle bleiben.«
    »Erzählen Sie mir von diesem Traum. Was genau passiert da?«
    Er sah sie an. In dem Moment wusste er, wer die Frau war, die auf dem
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