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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann
Autoren: Max Bentow
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Bett gehockt hatte, die Waffe an der Schläfe.
    Die Frau, die er nicht retten konnte: Sie saß ihm gegenüber.
     
    Der Tag war nicht ihr bester gewesen. Ihr Chef hatte sie kritisiert, weil sie eine wichtige Powerpoint-Präsentation an falscher Stelle abgespeichert hatte, so dass sie sie erst nach langem Suchen für ihn parat hatte, und zu allem Überfluss taten ihr seit Stunden Rücken und Glieder weh, so als würde sie krank werden, und das konnte sie sich nun wirklich nicht leisten.
    Am Abend zuvor hatte sie verzweifelt versucht, mit Achim zu telefonieren, doch immer nur die Mailbox erreicht. Natürlich fragte sie sich, was er so spät noch trieb in
London. Vielleicht saß er ja mit ein paar Kommilitonen im Pub zusammen, doch schon stellte sich die Frage, ob nicht auch Frauen dabei waren. Schlimmer noch, nur eine, mit der er sich allein traf. Konnte sie ihm denn nicht vertrauen? Um halb zwölf hatte sie es aufgegeben.
    In der SMS, die sie am nächsten Morgen von ihm erhielt, vermisste sie die Erklärung, wo er gewesen war, und dann dieser Tag im Büro. Heute Abend müsste er anrufen und sich bei ihr entschuldigen, so viel stand sie für sie fest.
    Die Menschen in der U-Bahn saßen dicht gedrängt, ihr Banknachbar verströmte einen unangenehmen Schweißgeruch. Sie wollte sich ein Auto kaufen, wenn sie nur genug Geld zusammengespart hatte, einen Mini vielleicht, Minis fand sie chic, dann wäre endlich Schluss mit diesem U-Bahnfahren. Der Typ ihr gegenüber warf ihr unzweideutige Blicke zu. Sie strich ihren Rock zurecht. Sie schwitzte ja selbst, nicht dass es ihr eigener Geruch war, nein, das war nicht möglich, sie hatte doch immer ein Deo dabei, selbst bei der Arbeit benutzte sie es.
    Und überhaupt, dass ihr Chef auch noch bemängelt hatte, sie würde zu oft Pausen einlegen.
    Nur noch eine Station, dann könnte sie aussteigen. Sofort musste sie wieder an den Vogel denken, es war doch äußerst rätselhaft, wie er sich in die Wohnung verirrt hatte. Achim hätte sie vor dem Einschlafen trösten müssen, ausgerechnet an diesem Abend war er nicht für sie da. Heute Morgen hatte sie extra alle Fenster überprüft und war sogar noch einmal auf der Treppe umgekehrt, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich die Wohnungstür verschlossen hatte.
    Nein, sie war kein ängstlicher Mensch, aber in der Nacht
hatte sie doch entsetzlich schlecht geschlafen und war von Alpträumen heimgesucht worden, in denen dieses Tier immer wieder um ihren Kopf herumgeflattert war und sie im Gesicht berührt hatte. Noch jetzt schüttelte es sie, wenn sie daran dachte.
    Am Schlesischen Tor verließ sie die Hochbahn und drückte sich an den Schnorrern im Aufgang vorbei.
    »Fahrschein übrig, Fahrschein übrig?«, raunten sie wie im Chor. Einer von ihnen, abgerissen und ausgemergelt, sicher ein Junkie, taumelte ihr entgegen, so dass sie beinahe mit ihm zusammengeprallt wäre.
    Sie zog die Schultern hoch, hastete über die Fahrbahn, umkurvte die Passanten und wandte sich nach links. Kurz darauf hatte sie die Wrangelstraße erreicht und schloss die Haustür auf.
    Erst nachdem sie einmal durch alle Räume geschritten war, konnte sie sich beruhigen. Alles schien an seinem rechten Platz zu sein.
    Coralie atmete auf. Jetzt brauchte sie dringend eine Dusche. Aus alter Gewohnheit ließ sie die Badezimmertür offen stehen, als sie sich entkleidete.
    Endlich befand sie sich in der Wanne, und das heiße Wasser prasselte auf sie herab. Allmählich entspannten sich ihre Muskeln.
    Sie seifte sich ein und begann leise vor sich hin zu summen.
    Plötzlich verstummte sie. Ob wohl gerade ihr Telefon geläutet hatte? War das Achim?
    Sie stellte das Wasser ab und lauschte. Aber da war nichts, also drehte sie die Hähne wieder auf.

    Coralie schloss die Augen und massierte sich mit dem Brausestrahl.
     
    »Und wie geht es Ihrem Vater?«
    Die Stunde war vorbei, er schüttelte ihre Hand. Er bemerkte, wie sie leicht errötete. Das gefiel ihm.
    »Besser, danke«, antwortete sie.
    »Ist das nicht erlaubt?«
    »Was meinen Sie?«
    »Sie als Psychologin müssen darauf achten –«
    Sie lachte verlegen. »– dass ich die Distanz wahre, den Patienten nach Möglichkeit nichts aus meinem Privatleben verrate?«
    Er nickte, lächelte schwach.
    »Sie haben recht«, sagte sie ernst. »Das gehört nicht hierher.«
    Jetzt sag es, durchfuhr es ihn. Das ist doch das Einfachste von der Welt. Sag: Nicht hierher, aber bei einem Kaffee vielleicht, irgendwo anders, dürften Sie mir da mehr
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