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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin
Autoren: Boris Akunin
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handelte. Er durfte keinen Fehler machen, die Verantwortung, die er trug, war schwer und furchteinflößend.
    Der Korrespondent erhob sich und öffnete nach kurzem Klopfen die Tür zum Nebenzimmer.
    Das Arbeitszimmer des »Präsidenten des Zauberlandes« war einfach ekelhaft. Erstens stand ein Riesenmonitor auf dem Tisch (das war bei den neuen Russen so Mode, je größer der Plastikkasten war, als desto »toller« galt er). Zweitens hing ein altes Porträt eines uniformierten Beamten aus der Zarenzeit an der Wand (das war ebenfalls Mode, jeder dahergelaufene Schurke stammte jetzt auf Garantie aus dem Hochadel und gab mit seinen aristokratischen Vorfahren an). Drittens gab es irgendwelche Diplome hinter Glas (diese Kriecher hatten zu viele Hollywoodfilme gesehen). Und die Krönung des Ganzen war ein Basketballkorb in der Ecke. Dieser kleinkarierte Yuppie!
    So sah er denn auch aus. Glatte Gesichtshaut, stramm, mit ordentlichem Scheitel, in einem Tweedjackett, aus dessen Tasche ein farblich zum Schlips passendes Tuch hervorlugte. Ein typischer Fall von: Fitnesscenter, Golfklub, Solarium. Pfui, Spinne!
    N. Fandorin drehte schnell seinen Dinosaurier-Monitor zur Seite, damit der Eintretende auch nicht das kleinste Stückchen des Bildschirms einsehen konnte (er hatte also etwas zu verbergen!), und erhob sich. Das war ja vielleicht ein langer Lulatsch, zwei Meter, bestimmt nicht weniger! Die Lippen des Herrn Magisters waren zu einem mechanischen Lächeln verzogen, aber in den grauen Augen war unmissverständlich zu lesen: Hol dich der Teufel.
    Und ob! Ausgerechnet in dieser Minute entschied sich das Schicksal des Daniel Vondorin. Würde es dem jungen Sergeanten des Semjonow-Regiments gelingen, bei der Gattin des Thronfolgers, der späteren Kaiserlichen Majestät, zum Kammersekretär auf zusteigen? Dazu musste man eine Prüfung bestehen: ein verzwicktes Rätsel von Katharina der Großen lösen. Wenn man nicht auf die richtige Lösung kam, musste Daniel zur Hauptwache zurück, aus der er nicht so leicht wieder herauskäme, und der Spieler verlöre Zeit und Punkte.
    Eine merkwürdige Beschäftigung für einen Paterfamilias: Computerspiele zu erfinden und das auch noch während der Arbeitszeit. Wenn es sich um eine Auftragsarbeit handelte, ginge das ja noch, aber nur zum Vergnügen . . . Denn wer sollte sich sonst noch für Quests und Adventures interessieren, in denen die eigenen Vorfahren die Hauptrolle spielen, alle diese vom Sande der Zeit Verwehten von Dorns, Vondorins und Fandorins, diese Secondemajore, Kammersekretäre und Staatsräte. Allenfalls der Sohn vielleicht, wenn er einmal groß sein würde . . .
    Ach, wenn er das Programmieren besser beherrschte und die neueste Computertechnik hätte, würde er ein richtiges Spiel mit Animation und sensationellen Effekten schaffen können, Stattdessen musste er sich mit etwas begnügen, das eher einem Diavortrag glich. Die junge Katharina hatte er von dem berühmten Torelli-Gemälde eingescannt, nur die Zarenkrone hatte er entfernt. Daniel bekam das schöne romantische Gesicht von Katharinas späterem, früh gestorbenem jugendlichem Liebhaber Alexander Lanskoj, denn in der Familie hatte sich keine Darstellung des fernen Ahnen erhalten. Wer weiß, wie Daniel Ilarionowitsch in Wirklichkeit ausgesehen hatte.
    Das Einzige, das von dem Kammersekretär Katharinas der Großen überkommen war, war ein Zettel mit der Notiz: »In ewiger Dankbarkeit. Katharina«. Issaaki Samsonowitsch Fandorin, Chronist der Sippe in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, hatte das bedeutende Dokument mit dem trockenen Kommentar »eigenhändige Unterschrift der Kaiserin Katharina der Großen« versehen und sich ansonsten jeglichen Kommentars enthalten. Vielleicht war der Dank in Wirklichkeit gar nicht an Daniel gerichtet; Nicholas vermutete das nur mit einigem Recht wegen der Nähe dieses Ahnen zur russischen Herrscherin.
    Wofür sie ihm dankte, das war die Frage, auf die jetzt, mehr als zwei Jahrhunderte später, nur das Spiel »Kammersekretär« eine Antwort finden konnte. Da gab es keinerlei Verantwortung, und der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt – das absolute Gegenteil von dem, was man Nicholas Fandorin in der Universität Cambridge beigebracht hatte. Ein jämmerliches Los für einen Magister der Geschichte. Statt ein seriöser Wissenschaftler zu werden, verfasste er nun pseudohistorische Märchen. Aber erstaunlicherweise (und das konnte Nicki nur sich selbst eingestehen)
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