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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin
Autoren: Boris Akunin
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verstand, und »Na und?« heißen. Nicht gerade freundlich.
    »Ich habe der Anzeige entnommen, dass Sie einem hier mit Ratschlägen zur Seite stehen . . . Ich bin in einer Situation, in der ich dringend einen Rat brauche . . .«
    Er sagte das mit dem Hintergedanken, dass man ihn sofort vor die Tür setzen würde, wenn es sich hier um ein Bordell handelte.
    Aber die exotische Schönheit nickte und sagte:
    »Ein Kunde? Über die Anzeige? Entrez.«
    Die war ja ganz schön polyglott.
    Das Aussehen des Büros stützte die Hypothese, dass der Fiskus betrogen werden sollte. Eine ehemalige Gemeinschaftswohnung, nicht besonders renoviert. Vom Flur aus, in dem ein paar Stiche an den Wänden hingen, kam man in ein kleines Vorzimmer: Schreibtisch mit Bürotechnik, eine Couch, ein Kaktus am Fenster – kurz, alles war bewusst auf arm, aber ehrlich getrimmt.
    Die farbenprächtige Nymphe setzte sich an den Computer, woraus zu entnehmen war, dass sie hier als Sekretärin arbeitete. Der Korrespondent schüttelte den Kopf. Wenn die Steuerbeamten kamen, wischte sich diese Goethes Faust entsprungene Hexe Gella wohl die Schminke ab und zog sich weniger auffällig an; man brauchte sie ja nur anzugucken, dann wusste man doch sofort, für welche Arbeit sie ihr Gehalt bekam, von dem man sicher sein konnte, dass es nicht zu knapp war.
    »Login? Passwort?«, fragte das Püppchen, während sie mit den Tasten klapperte, und der Korrespondent bekam wieder Angst, er könne sich geirrt haben. Passwort? Handelte es sich hier um einen geschlossenen Klub?
    »Name, Anliegen«, sagte die Sekretärin seufzend und übersetzte sich selbst.
    Sie streifte den Besucher mit einem Blick und kräuselte ihr Näschen, in dessen klassisch geschnittenem Flügel ein kleiner Brillant blinkte. Der Korrespondent lächelte ironisch, offenbar hatte er keinen soliden Eindruck auf sie gemacht.
    »Schreiben Sie: Nikolaj Iwanowitsch Kusnezow.« Er machte eine Pause, denn er war sich sicher, dass dieser Name der Generation der jungen Leute mit violetten Haaren und orangen Lippen kein Begriff war. So war es auch. Als sei nichts gewesen, flog die Sekretärin mit den Fingern über die Tasten. »Das Anliegen meines Besuchs möchte ich dem Herrn Magister persönlich mitteilen. Kann ich reingehen?«
    Er deutete auf die Holztür, hinter der das Arbeitszimmer des Halunken lag.
    »Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar«, nuschelte das dreiste Mädchen und wandte sich von dem uninteressanten Kunden ab.
    Sie griff nach einem Spiegel und bewunderte ihr gepflegtes Gesicht. Dann presste sie die Lippen aufeinander und schob sie hin und her. Er wusste, sie tat das, um den Lippenstift gleichmäßig zu verteilen. Auch Ljuba hatte das immer getan. Nur hatte ihr Lippenstift eine anständige Farbe gehabt: hellrosa.
    Die Erinnerung betraf sein voriges, nicht sein gegenwärtiges Leben, und der Korrespondent schüttelte den Kopf, um sie zu verjagen.
    »Ich verstehe nicht. Ist er nicht da? Oder hat er gerade einen Kunden?«
    Wieder antwortete die Sekretärin unverständlich:
    »Der Chef ist auf Zeitreise. Wenn Sie wollen, können Sie hier warten und relaxen.« Sie deutete auf die Couch.
    »Wenn ich Kinder hätte, würde ich die Sprache der heutigen Jugend sicher besser verstehen«, dachte der Korrespondent. »Ohne Hauslehrer fühlt man sich im Umgang mit der neuen Generation wie ein Ausländer.«
    Auf dem Tisch lagen statt der üblichen Illustrierten Bildbände: Repin, Wasnezow, Lansere und Borissow-Mussatow.
    Er blätterte ein wenig darin. Wie gut die Maler früher malten! Kein Vergleich mit den heutigen.
    »Shit-Merde-Tschort!« Die Sekretärin warf den Spiegel auf den Tisch. »Der ist ja absolut nicht rosa!«
    Sie sprang vom Tisch auf, lief in den Flur und stampfte zornig auf, dass die Absätze klapperten.
    Meine Güte, war die hysterisch! Benahm sich, als wäre sie alleine. Oder hatte sie vielleicht ein Näschen dafür, wer Geld hatte und wer nicht? Und die kein Geld hatten, waren für sie keine Menschen.
    Ich bin jetzt auch kein Mensch, sagte sich der Korrespondent, und in seinem Inneren erbebte alles, da sich der AUGENBLICK DER WAHRHEIT näherte, der höchst feierliche Moment der ENTSCHEIDUNG. Dabei musste er auf den ersten, nicht durch den Filter von Logik und Vorurteil verzerrten Eindruck vertrauen und auf die Stimme seines Herzens hören, das ein Teil von GOTT ist. Da ging es immerhin um das Leben eines Menschen, auch wenn es sich bei diesem Menschen um ein Scheusal und einen Lügner
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