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Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao
Autoren: Lynda S. Robinson
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war mittlerweile leichter geworden, mit den Narben zu leben. Genau wie bei der Narbe, die von seiner Brandmarkung herrührte, waren die oberflächlichen Wunden längst abgeheilt. Nur gelegentlich, wie an diesem Morgen, wurde er von der Vergangenheit eingeholt. Wußten die Götter Bescheid und suchten ihn mit den Erinnerungen heim, um ihn vor zukünftigem Unheil zu warnen? Es war als ob sie ihn mahnten, gerecht zu sein, um Ma’at zu finden, die einzige Wahrheit und die Harmonie des Lebens, durch die die Welt existierte. Aber war er überhaupt dazu in der Lage? Einmal hatte er das Wohl des Landes mit seinem eigenen Bedürfnis nach Rache verwechselt und es zugelassen, daß ein Mann starb.
    Nein, das war nicht wahr. Andere hatten schon lange bevor Meren eine Verschwörung gegen Echnaton mutmaßte, beschlossen, daß der Irrsinn im Zweifachen Reich Ägyptens ein Ende haben mußte. Wenn er versucht hätte, sie aufzuhalten, hätten sie ihn ebenfalls getötet. Für Ay war niemand wichtiger als das Wohl Ägyptens.
    Meren schüttelte den Kopf in dem Versuch, sich von den widerstreitenden Prinzipien zu befreien. Das war ein alter Kampf. Manchmal stellte er sich vor, in der Unterwelt dem Jüngsten Gericht überantwortet zu sein und vor der ewigen Waage zu stehen, während die Götter sein Herz gegen die Feder der Wahrheit abwogen. Die Waagschalen würden vor- und zurückschaukeln. Sie würden heftig schwingen, bis die Schale, in der sein Herz lag, scheppernd zu Boden fallen würde. Sein Herz würde aufbrechen und Schwärme von Maden würden herauskriechen, und die Götter würden ihn dazu verdammen, von Monstern gefressen zu werden.
    Meren, Du hast das Gehirn eines Stachelschweins. Bewußt wandte er seine Gedanken wieder dem Hof und dem König zu.
    Um zu überleben, hatte er gelernt, unsichtbare Masken zu tragen, Fassaden, die er errichtet hatte, um sein jeweiliges Ziel zu erreichen. Das war eine Fähigkeit, die ihn sein Vater und der Wesier gelehrt hatten, und er versuchte, diese Fähigkeit auch an den König weiterzugeben. Denn ein vertrauensseliger, offenherziger Herrscher huldigte seiner eigenen Zerstörung.
    Meren gestattete sich selbst einen kaum hörbaren Seufzer. Es würde nicht lang dauern, bis der König die Konsequenzen, die eine solch öffentliche Zurschaustellung seiner Gunst nach sich zog, erkennen würde. Meren wußte bereits, daß er in diesen kurzen Augenblicken etliche neue Feinde und falsche Freunde gewonnen hatte. Einer der Vorfahren des Königs hatte einmal etwas über das Leben am Hof geschrieben. Er hatte seinem Sohn den Rat gegeben, keinem Bruder zu vertrauen und keine Freunde zu kennen, und wenn er sich zu einer Frau legte, sollte er auf sein Herz aufpassen. Meren hatte diesen Rat immer im Gedächtnis behalten, ebenso wie die Warnung, daß am Hofe des Pharao in Zeiten der Not sogar der König selbst keine Freunde besitzt.

Kapitel 2
    Meren und einige der königlichen Wagenlenker, die er als Gehilfen mitgenommen hatte, benötigten weniger als eine Stunde, um zum Tempel des Anubis zu gelangen. Während dieser Reise, welche die Südstraße herunterführte, die direkt vom Palast am Westufer abging, verbarg Meren seine Zweifel im versiegelten Inneren seines ka. Er hatte sich den Luxus des Selbstvorwurfes schon viel zu lange gegönnt. Der Gerechtigkeit des Pharao mußte Genüge getan werden, seine Untertanen mußten vor dem Bösen geschützt, Mörder mußten aufgespürt und gefaßt werden. Und indem er dafür sorgte, konnte Meren vielleicht die heulenden Hyänen seines eigenen Gewissens besänftigen.
    Die Werkstätten der Einbalsamierer befanden sich in einiger Entfernung vom Palast, vom Regierungsviertel und den Leichenhallen des westlichen Theben, damit die Gase und der Abfall, die den Ort der heiligen Mysterien umgaben, den Pharao und seine Untertanen nicht störten. Während er einem Stallknecht die Zügel seines Pferdes gab, rümpfte Meren die Nase. Er bemerkte, daß einer seiner Männer das Zeichen gegen das Böse machte. Kysen wartete in der Einbalsamierungswerkstatt auf ihn. Wie gewöhnlich strich sein Sohn umher wie ein Hund, der auf der Jagd ist. Er ignorierte den großen Priesterleser und bombardierte einen unglücklichen Bandagierer mit Fragen. Es war bei jeder Untersuchung das gleiche. Kysen unterhielt sich mit dem Leibeigenen, dem Handwerker, dem Arbeiter. Nur zögernd nahm er es mit einem Fürsten oder Priester auf. Meren hatte versucht, seinen Sohn von dieser Vorliebe abzubringen, aber es war
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