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Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao
Autoren: Lynda S. Robinson
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schwer für ihn, die Erinnerung daran zu verdrängen, daß er von seinem Vater in die Sklaverei verkauft worden war, auch wenn er jetzt der adoptierte Sohn eines Günstlings des Königs war.
    Meren nahm die Grußworte des Priesterlesers zur Kenntnis, während er sich einen Überblick über die gesamte Szene verschaffte. Die Einbalsamierer gingen ihrer Arbeit nach, scheinbar ohne die Anwesenheit einer Seele zu fürchten, die gewaltsam von ihrem Körper getrennt worden war. In dem tunnelförmigen Trockenzelt standen zwei Reihen von Einbalsamierungstischen, welche für die wohlhabenderen Bürger reserviert waren, die sich eine kostspieligere Art der Mumifizierung leisten konnten. An einer Seite des offenen, überdachten Gebäudes standen Tische, auf denen die Werkzeuge, die zum Einbalsamieren benötigt wurden, lagen – Löffel, Messer, Sonden, Nadel und Faden, alles in Schatullen oder auf Tabletts verstaut. Auf einem reichverzierten Tisch, der abseits von den anderen stand, befand sich ein Kasten, in den Hieroglyphen und das Bild des schakalköpfigen Gottes Anubis eingraviert waren. Der Deckel des Kastens stand halb offen.
    Daneben kauerte ein junger Arbeiter, der unglücklich und verängstigt aussah. Meren konnte die Angst förmlich riechen wie ein Hund eine verwundete Gazelle wittert. Seine Neugier war geweckt, aber er wußte, daß es besser war, sie zu zügeln. Das hier war Kysens Aufgabenbereich, und sein Sohn hatte den jungen Mann aus einem bestimmten Grund allein gelassen.
    Nachdem er die formalen Grußworte des Priesterlesers höflich erwidert hatte, folgte Meren dem Mann zum vierten Einbalsamierungstisch in der linken Reihe. Als er sich näherte, entließ Kysen den Arbeiter, den er gerade befragt hatte, mit einem Nicken. Meren war stolz auf dieses Nicken. Es war eines der ersten Zeichen dafür, daß der Junge seine neue Stellung in der Welt akzeptiert hatte, denn Kysen machte damit zum ersten Mal von einer Geste der Anerkennung eines Edelmannes gegenüber einem Gemeinen Gebrauch.
    Meren und Kysen trafen sich am Natrontisch. Unmittelbar und wortlos verfielen sie in ihren gewohnten Arbeitsrhythmus. Wie ein fähiger Künstler und sein bester Schüler arbeiteten und dachten sie in sich ergänzende Richtungen. Kysen kannte die Aufgaben, die Meren erledigt wissen wollte; Meren ahnte, wann Kysen Anweisungen oder Ratschläge benötigte. Sie standen Seite an Seite und starrten auf den Körper herunter, der auf die Kristalle gebettet war.
    »Sie haben ihn nicht berührt, seit sie das Messer gefunden haben«, sagte Kysen. »Du bist früher dran als ich dachte.«
    »Der Pharao befahl mir, mich zu beeilen.«
    Kysen sog die Luft ein und ließ sie langsam wieder entweichen. »Der lebende Gott ist weise.«
    »Der lebende Gott ist gelangweilt.« Es war schwierig, nicht über Kysens Ehrfurcht zu lächeln. »Schnaufe nicht, als ob du einen ganzen Granatapfel verschluckt hättest. Erzähl mir, was du weißt.«
    »Der Mann heißt Hormin, er steht in den Diensten des Wesiers und ist Schreiber im Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen.« Kysen nickte in die Richtung des verängstigten Arbeiters. »Als sie ihn ausgegraben haben, hat ihn dieser Wasserträger erkannt.« Er deutete auf einen mit einer Gravur versehenen Bronzearmreif am Handgelenk des toten Mannes. »Dann fand der Priesterleser seinen Namen und seinen Titel dann eingraviert. Es gibt auch einen Siegelring und eine Perücke.«
    Kysen beugte sich über den Natrontisch und berührte die Klinge aus Obsidian, die aus Hormins Nacken ragte. »Dies ist ein rituelles Einbalsamierungsmesser. Es wird für die Einschnitte benutzt, wenn die Eingeweide – «
    »Ich verstehe«, sagte Meren. »Und dieser Hormin, kennen die Balsamierer ihn ebenfalls?«
    »Nein, nur der Wasserträger gibt zu, ihn schon vorher gesehen zu haben. Ich werde mit ihm reden, wenn wir den Leichnam und diesen Priesterleser mit seinem Spatzenhirn losgeworden sind.«
    Kysen verließ rasch den Natrontisch und schritt durch die Halle, Meren folgte ihm. Kysen blieb vor dem Tisch stehen, auf dem sich das Anubiskästchen befand.
    »Hier wurde das Messer aufbewahrt«, sagte er. Er nahm eine Klinge aus dem Kästchen heraus. Selbst im Schatten der Einbalsamierungshalle reflektierten die Facetten des schwarzen Glases das Licht. Kysen deutete auf den Boden unter dem Tisch.
    »In die Erde ist Blut gesickert. Du kannst die Flecken neben den Fußspuren erkennen, und ein paar Tropfen sind auch auf die Tischbeine gespritzt.
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