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Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht
Autoren: Helene Tursten
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drüben haben. Das wissen wir schließlich aus dem Fernsehen«, meinte der Kommissar nachdenklich.
    Obwohl sein Weltbild begrenzt ist, ist er tatsächlich schon einmal in London gewesen, dachte Irene.
    »Lasst uns anfangen. Dann treffen wir uns wieder um eins und hören uns an, was Frau Special Agent so herausgefunden hat«, sagte Andersson und klatschte energisch in die Hände.
    Fredrik gähnte und schlurfte zum Kaffeeautomaten. Zum ersten Mal während der fünf Jahre, die sie jetzt schon zusammenarbeiteten, fand ihn Irene vor zehn Uhr morgens richtig erträglich.
     
    Nach dem Mittagessen versammelten sie sich wieder im Konferenzraum. Lee Hazel war bereits da. Sie wirkte strahlend und ausgeruht. Es gibt Leute, die haben kein Problem mit dem Jetlag, dachte Irene. Ihr fiel ebenfalls auf, dass Fredrik in der Mittagspause nach Hause gegangen war, um seine Frisur in Ordnung zu bringen und sich umzuziehen. Geduscht hatte er offensichtlich auch, seinem guten Geruch nach zu urteilen.
    »Dann erteile ich das Wort unserer amerikanischen Kollegin Lee Hazel«, sagte Andersson.
    Erneut fiel Irene auf, dass er richtig passables Englisch sprach. Frau Special Agent schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln und erhob sich unangestrengt von ihrem Stuhl. Ihr Busen geriet in Bewegung, als sie Luft holte, um zu sprechen, was bei ihrer männlichen Zuhörerschaft zu Atemstillstand und körperlicher Unruhe führte. Birgitta, Irene und Kajsa hatten in diesem Augenblick nur einen Gedanken: wahrscheinlich alles Silikon.
    Mit ihrer dunklen, etwas rauchigen Stimme begann Lee Hazel ihren Bericht. Nach einigen Minuten dachte niemand mehr an ihre körperlichen Vorzüge. Alle hörten aufmerksam zu, um ja kein Detail zu verpassen.
    »Ich arbeite beim FBI in der Abteilung für organisiertes Verbrechen. Das heißt im Klartext, dass ich mich um die Mafia und ihre Geldtransaktionen kümmere. Ich habe Wirtschaft studiert und bin auf Geldwäsche spezialisiert. Das ist nämlich heute das größte Problem der Mafia. Drogen, Prostitution, Schutzgelderpressung, Raub und so weiter generieren enorme Summen, aber alles schwarzes Geld. Da das Ziel der Mafia ist, hinter einer respektablen Fassade zu operieren und ihre Unternehmen in die normale Gesellschaft zu integrieren, verwendet sie große Mühe darauf, das Geld zu waschen. Ist das Geld einmal weiß, kann sie es investieren oder politische Projekte unterstützen. Die Politiker, die von der Mafia finanziert werden, sind auch von ihr abhängig. Auf diese Weise kommt die Mafia zu Macht, und das ganz legal.«
    »Entschuldigen Sie, aber können wir das, was Sie sagen, auf Band aufnehmen?«, unterbrach sie der Kommissar.
    Er war nervös. Zu seinem Entsetzen hatte er einsehen müssen, dass sein Englisch doch nicht so gut war, wie er sich das nach seinem ersten Sprachkurs eingebildet hatte.
    »Ich habe nichts dagegen«, antwortete Lee Hazel.
    »Wie Sie bereits wissen, war Edward Fenton der Chef von H.P. Johnson’s Europafiliale. Bei H.P. Johnson’s handelt es sich um eine recht angesehene Investmentbank. Sie wurde bereits während des Ersten Weltkriegs von einem schwerreichen Ketchupfabrikanten gegründet. Anfang der siebziger Jahre gab es eine Flaute, und man ließ zu, dass sich ein zweiter Teilhaber einkaufte. Der Mann heißt Sergio Santini und ist der Vater von Janice Santini und somit der Schwiegervater von Edward Fenton. Mister Santini hat auch einen Sohn, Sergio junior. Die Santinis sind derzeit die mächtigste Mafiafamilie in New York. Die Eltern von Papa Santini kamen in den zwanziger Jahren aus Sizilien, und der alte Sergio hat den Kontakt dorthin aufrechterhalten. Es handelt sich also um die echte Cosa Nostra. Diese Organisation ist auch gelegentlich als ›Tintenfisch‹ bezeichnet worden. Zu Recht, denn die Arme der Cosa Nostra reichen bis in Organisationen, in denen man sie am allerwenigsten vermutet. In Italien haben sie sogar einen Präsidenten, der nachgewiesenermaßen von der Mafia unterstützt wird. Die Cosa Nostra hat die Gemeinde- und Provinzverwaltungen in Italien und in einigen anderen europäischen Ländern unterwandert. Ihre Vertreter sitzen in Aufsichtsräten und Banken. Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Die Frage lautet, welcher Teil der Umtriebe der Mafia auf lange Sicht der demokratischen Gesellschaft am meisten schadet, der illegale oder der legale. Was den illegalen Teil angeht, so kann man die Organisation dadurch schädigen, dass man so viele Mafiosi wie möglich hinter
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