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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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einbezog, so dass du schließlich bis zum Hals in der Scheiße stecktest. Und dann gab es keinen Rückzug mehr, jetzt hatten sie zu viel gegen dich in der Hand. Das Schlimmste war, du wusstest ja gar nicht, wer 'sie‹ waren. Wir hatten uns in Zellen von wenigen Menschen organisiert, die nur durch eine Kontaktperson miteinander verkehrten, und die war zum Schweigen verpflichtet. Ich wusste nicht, dass Tom Waaler einer von uns war, dass er es war, der den Waffenschmuggel organisiert hatte, ja dass es überhaupt eine Person gab, die den Spitznamen 'Prinz‹ hatte. Das habe ich erst erfahren, als ihr, Ellen Gjelten und du, ihn entlarvt hattet. Und da erkannte ich auch, dass wir unser eigentliches Ziel längst aus denAugen verloren hatten. Dass es schon lange nur noch darum ging, sich zu bereichern. Dass ich korrupt war. Und mitschuldig daran, dass...«
    Møller holte tief Luft:
    »... Polizisten wie Ellen Gjelten getötet wurden.«
    Wolkenfetzen und dicke Schneeflocken trieben vorbei, so dass es aussah, als sei die Bergspitze in Bewegung.
    »Eines Tages konnte ich nicht mehr. Ich habe versucht, aus der Sache rauszukommen. Sie machten mich mit den Alternativen vertraut. Sehr einfachen Alternativen. Aber ich habe keine Angst. Das Einzige, was ich fürchte, ist, dass sie meiner Familie etwas antun.«
    »Hast du sie deshalb verlassen?«
    Bjarne Møller nickte.
    Harry seufzte: »Und jetzt hast du mir diese Uhr gegeben, um der Sache ein Ende zu bereiten?«
    »Du musstest es sein, Harry. Von den anderen kam doch keiner in Frage.«
    Harry nickte. Er spürte einen Kloß im Hals, der immer dicker wurde, und dachte an etwas, das Møller bei ihrer letzten Begegnung hier oben gesagt hatte: Es sei verrückt, dass man vom Zentrum Norwegens zweitgrößter Stadt nur sechs Minuten mit der Seilbahn fahren musste und sich plötzlich in einer Gegend befand, in der sich ein Mensch verlaufen und zu Tode kommen konnte. Dass man im Zentrum von etwas, das man selbst als Gerechtigkeit empfand, plötzlich jegliche Orientierung verlieren und zu etwas mutieren konnte, das man normalerweise selbst bekämpfte. Und er dachte an die große Rechenaufgabe in seinem eigenen Kopf, an all die kleinen und größeren Entscheidungen, die zu den letzten Minuten auf dem Flughafen in Oslo geführt hatten.
    »Und was, wenn ich auch nicht so anders bin als du, Chef? Was, wenn ich sage, dass auch ich dort stehen könnte, wo du jetzt stehst?«
    Møller zuckte mit den Schultern. »Es sind Zufälle und Nuancen, die den Helden vom Verbrecher unterscheiden, so ist es immer gewesen. Rechtschaffenheit ist die Tugend der Faulen, der Visionslosen. Ohne Gesetzesbrecher und Ungehorsam würden wir noch immer in einer Feudalgesellschaft leben. Ich habe verloren, Harry, soeinfach ist das. Ich habe an etwas geglaubt, aber ich habe den Durchblick verloren, und als ich wieder sehen konnte, war mein Herz korrupt geworden. Solche Dinge geschehen dauernd.«
    Harry stemmte sich gegen den Wind und suchte nach Worten. Als er endlich welche fand, klang seine Stimme fremd und gequält: »Tut mir leid, Chef. Ich kann dich nicht festnehmen.«
    »Ist schon in Ordnung, Harry. Den Rest schaffe ich jetzt allein.« Møllers Stimme klang ruhig, fast als wollte er ihn trösten. »Ich wollte nur, dass du alles siehst. Und verstehst. Und vielleicht daraus lernst. Das war’s.«
    Harry starrte in den undurchdringlichen Nebel und versuchte vergeblich zu tun, worum ihn sein Chef und Freund gebeten hatte: alles zu sehen. Er hielt die Augen so lange offen, bis ihm die Tränen kamen. Als er sich wieder umdrehte, war Bjarne Møller verschwunden. Er rief seinen Namen in den Nebel, obwohl er wusste, dass Møller recht hatte: Das war’s.
    Trotzdem, dachte er, sollte jemand seinen Namen rufen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
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    Die Übersetzung wurde gefördert durch NORLA –
    Norwegian Literature Abroad, Oslo
     
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    © für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH,
    Berlin 2007/Ullstein Verlag
    © 2005 by Jo Nesbø
    Titel der norwegischen Originalausgabe:
    Frelseren (H. Aschehoug & Co., Oslo 2005)
    Satz: LVD GmbH,
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