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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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vorbeibewegten.
    »Stopp!« Jon hielt die Arme vor sich hoch. »Ich sage alles.« Er begegnete dem Blick des Polizisten über Stankics Schulter hinweg. Und sah, dass dieser bereits alles wusste. Vielleicht schon lange. Der Polizist hatte recht: Er hatte nichts zu verlieren. Nichts von dem, was er sagte, konnte gegen ihn verwendet werden. Und das Seltsame war, dass er reden wollte. Ja, nichts wollte er lieber als das.
    »Wir standen draußen vor dem Auto und warteten auf Thea«, sagte Jon. »Der Polizist hörte eine Nachricht auf der Mailbox ab. Ich konnte hören, dass es Mads war. Und ich wusste sofort Bescheid, als der Polizist sagte, es habe sich um ein Geständnis gehandelt, und er wolle Sie anrufen. Sie waren im Begriff, mich zu entlarven. Ich hatte Roberts Taschenmesser und habe instinktiv reagiert.«
    Er sah es vor sich, wie er von hinten versucht hatte, die Arme des Polizisten festzuhalten, wie dieser es jedoch geschafft hatte, seine Hand zwischen Klinge und Hals zu schieben. Jon hatte immer wieder in diese Hand gestochen, ohne an die Halsschlagader zu kommen. Wütend hatte er den Mann wie eine Puppe von links nach rechts geworfen und immer wieder zugestochen. Schließlich war das Messer in die Brust gedrungen, und eine Art Seufzen war durch den Körper des Mannes gegangen, während gleichzeitig seine Arme schlaff nach unten sackten. Er hatte das Handy aufgehoben und eingesteckt. Dann wollte er ihm den Gnadenstoß versetzen.
    »Aber Stankic hat Sie gestört?«, fragte Harry.
    Jon hatte gerade das Messer erhoben, um dem bewusstlosen Polizisten die Kehle durchzuschneiden, als er jemand etwas in einer fremden Sprache rufen hörte, den Blick hob und einen Mann in einer blauen Jacke auf sich zulaufen sah.
    »Er hatte eine Pistole, ich musste also fliehen«, sagte Jon und fühlte, wie ihn sein Geständnis reinigte, wie es ihn von seiner Last befreite. Und er sah Harry nicken, erkannte, dass der hochgewachsene, blonde Mann verstand. Und verzieh. Er war so gerührt, dass er einen Kloß im Hals spürte und den Tränen nahe war, als er fortfuhr: »Er hat auf mich geschossen, als ich wieder ins Haus rannte. Hätte fast getroffen. Er wollte mich umbringen, Harry. Das ist ein verrückter Mörder. Sie müssen ihn erschießen, Harry. Wir müssen ihn schnappen, Sie und ich, wir «
    Er sah, wie Harry langsam den Revolver senkte und in seinen Hosenbund schob.
    »Wa … was tun Sie da, Harry?«
    Der große Polizist knöpfte sich den Mantel zu. »Ich nehme jetzt meine Weihnachtsferien, Jon. War nett mit Ihnen.«
    »Harry? Warten Sie «
    Die Gewissheit, was jetzt geschehen würde, hatte ihm binnen weniger Sekunden jegliche Feuchtigkeit aus Hals und Mund gesaugt, so dass er die Worte aus trockenen Schleimhäuten hervorwürgen musste:
    »Wir können uns das Geld teilen, Harry. Hören Sie, wir können es dritteln. Es muss niemand etwas davon wissen.«
    Doch Harry hatte sich bereits abgedreht und wandte sich auf Englisch an Stankic:
    »Ich glaube, Sie werden da in der Tasche so viel Geld finden, dass auch noch ein paar der anderen aus dem Hotel International in Vukovar bauen können. Und Ihre Mutter möchte vielleicht auch dem Apostel in der Stephanskathedrale etwas opfern.«
    »Harry! « Jons Schrei war heiser wie ein Todesröcheln. »Alle Menschen verdienen eine zweite Chance, Harry! «
    Der Polizist hielt inne, die Hand auf der Klinke.
    »Blicken Sie in die Tiefe Ihres Herzens, Harry. Dort muss es doch Vergebung geben!«
    »Das Problem ist «, Harry rieb sich das Kinn, »ich bin nicht in der Vergebungsbranche.«
    »Was?«, fragte Jon verblüfft.
    »Erlösung, Jon. Erlösung. Darum geht es, auch bei uns. «
     
    Als Jon die Tür hinter Harry ins Schloss fallen hörte und sah, wie der festlich gekleidete Mann den Revolver anhob, so dass er ins schwarze Auge der Mündung starrte, war die Furcht zu einem körperlichen Schmerz geworden. Er wusste nicht mehr, wem seine Schreie galten: Ragnhild, sich selbst oder einem der anderen. Doch bevor die Kugel seine Stirn durchschlug, kam Jon Karlsen noch zu einer Erkenntnis, die aus den Jahren des Zweifelns, der Scham und der verzweifelten Gebete erwachsen war: dass niemand die Schreie oder die Gebete jemals hörte.

 
     
     
    TEIL 5
    Epilog

 
    KAPITEL 35
    Schuld
     
     
    H arry fuhr mit der U-Bahn bis zum Egertorg. Es war ein Tag vor Heiligabend, und die Menschen hasteten auf der Jagd nach den letzten Weihnachtsgeschenken an ihm vorbei. Trotzdem schien sich bereits so etwas wie
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