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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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Weihnachtsfrieden über die Stadt gesenkt zu haben. Man konnte es an den Gesichtern der Leute sehen, die zufrieden lächelten, weil sie mit ihren Vorbereitungen fertig waren oder einfach nur aus müder Resignation allen Stress fallen ließen. Ein Mann in einem Ganzkörperdaunenanzug wankte langsam wie ein Astronaut vorbei. Grinsend und rotbackig blies er weiße Atemwolken vor sich her. Aber ein verzweifeltes Gesicht sah Harry doch. Am Schaufenster des Uhrmachers stand eine blasse Frau in einer dünnen, schwarzen Lederjacke mit löchrigen Ellenbogen. Sie trat von einem Bein aufs andere.
    Der junge Mann hinter dem Tresen strahlte, als er Harry erblickte, beeilte sich, den Kunden abzufertigen, der vor ihm stand, und verschwand im Hinterzimmer. Er kam mit der Großvateruhr zurück und legte sie stolz auf den Tresen.
    »Sie läuft«, sagte Harry beeindruckt.
    »Alles lässt sich reparieren«, sagte der junge Mann. »Aber passen Sie auf, dass Sie sie nicht weiter aufziehen als unbedingt nötig. Sonst nutzt sich die Mechanik ab. Probieren Sie mal, ich zeig’s Ihnen. «
    Als Harry am Rädchen drehte, spürte er die Reibung des Metalls und den Widerstand der Feder. Und er bemerkte, dass der Blick des jungen Mannes plötzlich ganz starr geworden war.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, »aber darf ich Sie fragen, wo Sie diese Uhr herhaben?«
    »Die habe ich von meinem Großvater bekommen«, antwortete Harry, verwundert über die plötzliche Andacht in der Stimme des Uhrmachers.
    »Nicht die. Die . « Der Uhrmacher zeigte auf die Uhr an Harrys Handgelenk.
    »Die habe ich von meinem letzten Chef bekommen, zu seinem Abschied.«
    »Aber hallo.« Der junge Mann beugte sich über Harrys linken Arm und studierte die Uhr eingehend. »Die ist eindeutig echt. Das war aber ein großzügiges Geschenk.«
    »Ach, tatsächlich? Ist diese Uhr irgendwas Besonderes?«
    Der Uhrmacher sah Harry ungläubig an: »Wissen Sie das nicht?« Harry schüttelte den Kopf.
    »Das ist eine Lange 1 Tourbillon von der Firma A. Lange & Söhne. Auf der Rückseite finden Sie eine Seriennummer, die Ihnen verrät, wie viele Exemplare davon hergestellt worden sind. Wenn ich mich nicht irre, sind es einhundertfünfzig. Sie tragen eine Uhr mit einem der perfektesten Uhrwerke, die jemals hergestellt worden sind. Ja, man darf sich die Frage stellen, ob es klug ist, eine solche Uhr überhaupt zu tragen. Bei dem Marktpreis, den diese Uhr hat, gehört sie eigentlich eher in ein Bankschließfach.«
    »In ein Bankschließfach?« Harry betrachtete die anonym aussehende Uhr, die er vor ein paar Tagen aus dem Schlafzimmerfenster geworfen hatte. »So exklusiv sieht sie aber gar nicht aus. «
    »Das ist es ja gerade. Die kommt einfach mit einem normal aussehenden schwarzen Lederband und grauem Zifferblatt daher, und es ist nicht ein einziger Diamant oder ein Gramm Gold an dieser Uhr. Das, was da wie einfacher Stahl aussieht, ist allerdings Platin. Doch der eigentliche Wert liegt darin, dass hier das Ingenieurhandwerk die Grenze zur Kunst überschritten hat.«
    »Aha. Und wie viel ist die wert? Was glauben Sie?«
    »Ich weiß es nicht. Aber zu Hause habe ich ein paar Kataloge mit Auktionspreisen für seltene Uhren. Die könnte ich morgen mal mitbringen.«
    »Sagen Sie es mir einfach so ungefähr, damit ich eine Größenordnung habe«, sagte Harry.
    »Eine Größenordnung?«
    »Eine Vorstellung.«
    Der junge Mann schob die Unterlippe vor und bewegte den Kopf hin und her. Harry wartete.
    »Unter vierhunderttausend würde ich die jedenfalls nicht verkaufen.«
    » Vierhunderttausend Kronen?«, platzte Harry heraus.
    »Nein, nein«, sagte der junge Mann. »Vierhunderttausend Dollar. «
    Als Harry wieder vor dem Laden stand, spürte er die Kälte nicht mehr, auch nicht die matte Schläfrigkeit, die nach zwölf Stunden tiefem Schlaf noch immer in seinem Körper steckte. Und er nahm auch kaum die Frau mit den tief liegenden Augen, der dünnen Lederjacke und dem Junkieblick wahr, die auf ihn zukam: Ob Harry nicht der Polizist sei, mit dem sie vor ein paar Tagen gesprochen habe, und ob er nicht wisse, wo ihr Sohn sei, den seit vier Tagen niemand mehr gesehen hatte.
    »Wo war er zuletzt?«, fragte Harry mechanisch.
    »Na, was glauben Sie?«, fragte die Frau. »Auf der Plata natürlich. «
    »Wie heißt er? «
    »Kristoffer. Kristoffer Jørgensen. Hallo, hören Sie mir überhaupt zu? «
    »Was?«
    »Sie sehen aus, als wären Sie auf Stoff, Mann.«
    »Tut mir leid. Sie sollten mit einem Bild
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