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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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aufs Präsidium kommen und sich im Erdgeschoss melden.«
    »Bild?« Sie lachte rasselnd. »Ich habe ein Bild von ihm. Da war er sieben. Soll ich das nehmen?«
    »Haben Sie kein neueres?«
    »Wer hätte das denn bitte machen sollen?«
     
    Harry fand Martine im Fyrlyset. Das Café war geschlossen, aber die Aufsicht im Obdachlosenheim hatte ihm den Hintereingang aufgeschlossen.
    Sie stand allein im Waschraum hinter dem Kleiderdepot und räumte die Waschmaschine aus. Sie drehte ihm den Rücken zu. Er räusperte sich leise, um sie nicht zu erschrecken.
    Harry betrachtete ihre Schulterblätter und ihre Nackenmuskeln, als sie den Kopf drehte, und er fragte sich, woher sie diese Weichheit hatte. Und ob sie sie immer haben würde. Sie richtete sich auf, legte den Kopf zur Seite, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte.
    »Hallo, du bist doch dieser Harry, oder?«
    Sie stand nur einen Schritt vor ihm. Er musterte sie. Ihre winterblasse Haut, auf der dennoch ein seltsamer Glanz lag. Die gefühlvoll geweiteten Nasenlöcher, die merkwürdigen Augen mit den zerflossenen Pupillen, die wie eine partielle Mondfinsternis aussahen. Und die Lippen, die sie unbewusst erst nach innen zog und befeuchtete, ehe sie sie entspannte, weich und feucht, als küsste sie sich bereits selbst. Ein Trockner rumpelte vor sich hin.
    Sie waren allein. Sie atmete ein und legte den Kopf eine Spur in den Nacken. Es war nur ein Schritt bis zu ihr.
    »Hallo«, sagte Harry. Und blieb stehen.
    Sie blinzelte rasch zweimal. Dann lächelte sie kurz und etwas verwirrt, drehte sich zum Bügelbrett um und begann, Kleider zusammenzulegen.
    »Ich bin hier gleich fertig, wartest du?«
    »Ich muss noch Berichte schreiben, ehe die Ferien anfangen.«
    »Wir machen hier morgen ein Weihnachtsessen«, sagte sie und drehte sich halb um. »Hast du Lust zu kommen und uns zu helfen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Andere Pläne?«
    Die Aftenposten lag aufgeschlagen neben ihr auf dem Bügelbrett. Eine ganze Seite hatten sie dem Heilsarmeesoldaten gewidmet, der gestern Abend in der Toilette des Flughafens gefunden worden war. Die Zeitung verwies auf Kriminalhauptkommissar Gunnar Hagen, der bekannt gegeben hatte, dass ihnen weder Täter noch Motiv bekannt seien, dass die Tat aber sicher in Zusammenhang mit dem Mord am Egertorg in der letzten Woche stehe.
    Da die beiden Ermordeten Brüder waren und die Polizei zurzeit einen nicht identifizierten Kroaten verdächtigte, hatten die Zeitungen bereits zu spekulieren begonnen, ob es sich um eine Familienfehde handeln könnte. Die Zeitung VG wies darauf hin, dass dieFamilie Karlsen ihre Ferien früher häufig in Kroatien verbracht habe und dass eine solche Erklärung in Anbetracht der kroatischen Blutrachetradition durchaus naheliegend sei. Dagbladet warnte vor Vorurteilen, man solle die Kroaten nicht mit den kriminellen Elementen unter den Serben und Kosovo-Albanern gleichsetzen.
    »Ich bin bei Rakel und Oleg eingeladen«, sagte er. »Ich war gerade bei Oleg und habe ihm ein Geschenk gebracht, da haben sie mich gefragt.«
    »Sie?«
    »Rakel. «
    Martine faltete weiter. Sie nickte, als hätte er etwas gesagt, über das sie nachdenken musste.
    »Bedeutet das, dass ihr «
    »Nein«, sagte Harry. »Das bedeutet das nicht.«
    »Ist sie denn noch immer mit diesem anderen zusammen? Diesem Arzt?«
    »Soviel ich weiß.«
    »Du hast nicht gefragt?« Er hörte den Schmerz, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte.
    »Das geht mich nichts an. Wahrscheinlich feiert er Weihnachten bei seinen Eltern. Das ist alles. Und du wirst hier sein?«
    Sie nickte stumm und legte weiter die Wäsche zusammen. »Ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen«, sagte er. Sie nickte, ohne sich umzudrehen.
    »Lebewohl.«
    Ihre Hände erstarrten. Er konnte sehen, dass ihre Schultern leicht zu zittern begannen.
    »Du wirst es verstehen«, sagte er. »Du glaubst das jetzt vielleicht nicht, aber mit der Zeit wirst du verstehen, dass es so enden … muss.«
    Sie drehte sich um. In ihren Augen standen Tränen. »Das weiß ich doch, Harry. Aber ich will es trotzdem. Für eine Weile. Ist das wirklich zu viel verlangt?«
    »Nein.« Harry versuchte sich an einem Lächeln. »Eine Weile wäre schön. Aber es ist besser, sich jetzt zu trennen, als zu warten, bis es richtig wehtut.«
    »Aber es tut doch bereits weh, Harry. « Die erste Träne löste sich von ihren Wimpern.
    Wenn Harry nicht gewusst hätte, was er über Martine Eckhoff wusste, hätte er gedacht, ein
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