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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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Jon, ein redlicher, pflichtbewusster Junge, von dem die meisten erwarteten – auch wenn es niemand laut aussprach –, dass er auf der Offiziersschule aufgenommen werden würde und sich ein Mädchen innerhalb der Armee suchte. Letzteres war bei Robert alles andere als selbstverständlich. Jon war zwei Zentimeter größer als sein Bruder, aber seltsamerweise wirkte Robert größer. Was daran lag, dass Jon bereits im Alter von zwölf Jahren begonnen hatte, etwas gebeugt zu gehen, als trage er die Last der ganzen Welt auf den Schultern. Beide waren dunkel und hatten schöne, ebenmäßige Züge, doch Robert hatte etwas, was Jon fehlte. In der Tiefe seiner Augen lag etwas Schwarzes, Verspieltes, das sie manchmal zu gerne ergründet hätte, das sie dann aber auch wieder abschreckte. Während Rikards Rede war ihr Blick über die Anwesenden geschweift. Bekannte Gesichter. Eines Tages würde sie einen Jungen aus der Heilsarmee heiraten, und dann würden sie vielleicht in eine andere Stadt oder einen anderen Teil des Landes abkommandiert werden. Aber immer würden sie hierher auf den Østgård zurückkehren, auf das Gut, das die Armee gerade gekauft hatte und das von jetzt an ihre gemeinsame Sommerfrische sein würde.
    Etwas abseits, auf der Treppe des Hauses, saß ein Junge mit blonden Haaren und streichelte eine Katze, die ihm auf den Schoß geklettert war. Sie sah ihm an, dass er sie gerade heimlich beobachtet, seinen Blick aber noch rechtzeitig abgewandt hatte. Er war der Einzige hier, den sie nicht kannte, sie wusste aber, dass er Mads Gilstrup hieß und der Enkel des früheren Gutsbesitzers war. Er war ein paar Jahre älter als sie und gehörte zur wohlhabenden Gilstrup-Sippe. Eigentlich ein hübscher Junge, aber er hatte so etwas Einsames. Und was machte er überhaupt hier? Er war am Abend zuvorgekommen und war mit gerunzelter Stirn herumgelaufen, ohne mit jemand zu sprechen. Nur seinen Blick hatte sie ein paarmal gespürt. In diesem Jahr hingen alle Augen an ihr. Auch das war neu.
    Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Robert ihre Hand nahm, etwas hineinlegte und sagte: »Komm in die Scheune, wenn der General in spe da fertig ist. Ich will dir was zeigen.«
    Dann stand er auf und ging. Sie blickte auf ihre Hand hinunter und hätte beinahe laut aufgeschrien. Sie musste sich mit der anderen Hand den Mund zuhalten, während sie ins Gras fallen ließ, was Robert ihr gegeben hatte. Es war eine Hummel. Sie bewegte sich noch, hatte aber weder Beine noch Flügel.
    Rikard kam endlich zum Schluss, aber sie blieb sitzen und sah zu, wie ihre Eltern mit denen von Robert und Jon auf die Kaffeetische zustrebten. Sie galten in ihren jeweiligen Gemeinden in Oslo als »starke Familien« innerhalb der Armee, und sie wusste, dass man besonderes Augenmerk auf sie legte.
    Dann ging sie in Richtung Toilette. Erst als sie um die Ecke gebogen war und sie niemand mehr sehen konnte, huschte sie in die Scheune.
    »Weißt du, was das ist?«, fragte Robert mit einem Lachen in den Augen und dieser tiefen Stimme, die er letzten Sommer noch nicht gehabt hatte.
    Er lag auf dem Rücken im Heu und schnitzte mit dem Taschenmesser , das er immer am Gürtel trug, an einer Baumwurzel herum.
    Als er das Holzstück hochhielt, sah sie, was es war. Sie kannte es von Zeichnungen und hoffte nur, dass er in der Dunkelheit der Scheune nicht sah, wie rot sie wurde.
    »Nein«, log sie und setzte sich neben ihm ins Heu.
    Abermals sah er sie mit seinem neckenden Blick an, als wüsste er etwas über sie, wovon sie selbst keine Ahnung hatte. Sie erwiderte seinen Blick, lehnte sich zurück und stützte sich mit den Ellbogen auf.
    »Etwas, das hierhin muss«, sagte er, und plötzlich war seine Hand unter ihrem Rock. Sie spürte die harte Baumwurzel an der Innenseite ihrer Schenkel, und noch ehe sie die Beine schließen konnte, presste er sie gegen ihre Unterhose. Sein Atem lag warm auf ihrem Hals.
    »Nein, Robert«, flüsterte sie.
    »Aber ich hab es extra für dich gemacht«, zischte er.
    »Hör auf, ich will nicht.«
    »Du sagst nein? Zu mir?«
    Ihr stockte der Atem, und sie konnte weder antworten noch schreien, als sie plötzlich Jons Stimme vom Scheunentor her hörte: »Robert! Nein! Robert!«
    Sie merkte, wie er losließ. Die Wurzel blieb zwischen ihren zusammengepressten Schenkeln stecken, als er seine Hand zurückzog.
    »Komm her!«, kommandierte Jon, als hätte er es mit einem ungehorsamen Hund zu tun.
    Robert stand mit einem kurzen Lachen auf, blinzelte ihr
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