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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Bush-Administration, ihre militärische Erfolgsstrategie zu Beginn des Irak-Krieges effektiv an internationale Medien verkaufen zu können. Mag sein, dass diese Strategie in den ersten Wochen des Krieges sogar funktioniert hat. Aber »Shock and Awe« hat längst eine zweite Bedeutung bekommen. So lässt sich natürlich auch beschreiben, was uns in den vergangenen zehn Jahren in schöner Regelmäßigkeit passiert ist: Fassungsloses Staunen, ja Entsetzen, wenn wieder einmal ein Ereignis über uns hereinbrach, das niemand so vorausgesehen hatte oder voraussehen wollte. Schockereignisse eben, wie sie den eingangs zitierten Truthahn in fataler Weise am Mittwoch vorm Erntedankfest ereilen.
    Zweifellos nehmen in jeder Auflistung solcher Schocks Terroranschläge die Spitzenposition ein. Der 11. September 2001 wird als der entscheidende Tag für die Politik des vergangenen Jahrzehnts in die Annalen eingehen. Seitdem prägt er – stärker in den USA als in Europa – die Bedrohungswahrnehmung der westlichen Welt. Terror als Mittel der Politik war sicher nicht neu. Aber die Anschläge in New York und Washington haben die neue Qualität des internationalen Terrorismus offengelegt. Man braucht keine großen Militärapparate, wenn man die Supermacht USA angreifen will, sondern am Ende nur 19 Mann, vier Passagiermaschinen und fünf Teppichmesser, um die USA in einen Krieg zu zwingen, den sie nicht gewinnen können. Es sind nicht mehr die Spitzenrepräsentanten eines »feindlichen Systems«, die vernichtet werden sollen, sondern die Verbreitung von Massenhysterie. Die Schockwellen, die sich durch große Todeszahlen auslösen lassen, prägen den Terrorismus des frühen 21. Jahrhunderts. Wie ein roter Faden ziehen sich die Anschläge durch das gesamte Jahrzehnt: New York 2001, Bali und Moskau 2002, Madrid 2004, London 2005, Mumbai 2008. Und das waren nur die verheerendsten Anschläge, die uns in der Erinnerung haften bleiben. Die tatsächliche Zahl ist weit größer. Nach Angaben des National Counterterrorism Center in Washington lassen sich zwischen Januar 2000 und September 2009 weltweit insgesamt 63.192 Anschläge mit 92.378 Toten und 182.636 Verletzten verzeichnen. 12 Selbst wenn diese Zahlen kaum genau zu überprüfen sind, stehen sie doch füreine besorgniserregende quantitative Dimension der Auswirkungen des internationalen Terrorismus.
    Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind Terroranschläge zu der zentralen Sicherheitsbedrohung des Westens und der Regierungen geworden, die mit westlichen Staaten zusammenarbeiten. Und sie nutzen immer das Schock- und Überraschungsmoment, um nicht nur ihre physische, sondern vor allem ihre psychologische Wirkung zu verstärken. Eine Politik der effektiven Bekämpfung von Terrorismus konnte indessen nicht entwickelt werden. Stattdessen schien das Motto zu lauten: Zerstört, was uns zu zerstören droht!
    Frieden und hohe Erwartungen an »Friedensdividenden« wurden ad acta gelegt, denn Amerika unter Präsident Bush antwortete auf die Bedrohung durch internationalen Terrorismus mit einem Krieg. In der politischen Sprache der USA ist dies gar nicht so ungewöhnlich. In Amerika führt man gerne Krieg – gegen alles Mögliche: gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Krankheiten, gegen Drogen, gegen Rassenhass, gegen Arbeitslosigkeit, ja sogar gegen überzogene Staatsausgaben. Der »Krieg gegen den Terror« nahm allerdings sehr reale militärische Formen an. Die Taliban in Afghanistan wurden ebenso aus dem Amt gebombt wie zwei Jahre später Saddam Hussein im Irak. Aus 30.000 Fuß Höhe sind amerikanische Stealth-Bomber allem überlegen, was es gegenwärtig in den Arsenalen von Nationalstaaten an militärischen Kapazitäten gibt. Aber die Lehre der vergangenen zehn Jahre heißt auch: Die USA und ihre westlichen Verbündeten haben zum Teil militärisch eindrucksvoll die symmetrische Phase der Kriege gewonnen, wenn Armeen gegen Armeen kämpfen, wenn Gegner Adressen haben, wenn Regierungsgebäude, Truppenkonzentrationen und gelegentlich auch Unterschlupfe bekannt waren, die man in Zielaggregate eingeben konnte. Aber in der asymmetrischen Folgephase, wenn der Feind sein Gesicht verliert und unsichtbar wird, verlieren sie bis heute den Frieden: Mit Stealth-Bombern ist das eben nicht zu machen. Und die beste Militärtechnologie versagt, wo sinnvolle Aufbaumaßnahmen gefragt wären.
    In Atem hielten uns aber nicht nur sicherheitspolitische Schocks. In ökonomischer Hinsicht begann das Jahrzehnt,wie es
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