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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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global ausgerichtet. Durch die Auswirkungen der Globalisierung werden diese Trends der Verwischung und sogar Auflösung gemeinsamer Wertegrundlagen entsprechend beschleunigt.
    Trotzdem kann man aber festhalten, dass sich der Begriff in der politischen Alltagssprache fest eingebürgert hat. Jeder weiß zumindest in etwa, was gemeint ist, wenn vom »Westen« die Rede ist. Auf Anführungszeichen werde ich deshalb im Folgenden verzichten. Mehr noch: In Reden und Texten, in politischen Grundsatzprogrammen und Koalitionsverträgen wird scheinbar endlos über die Neubegründung, den Wiederbeginn und die strategische Notwendigkeit der transatlantischen Zusammenarbeit als Synonym für den Westen diskutiert. Das politische Selbstverständnis großer Teile unserer außenpolitischen und strategischen Elite bezieht sich immer noch auf die Existenz des Westens als strategische Interessengemeinschaft, die auf der Grundlage gemeinsamer Werte handelt.
    Wenn man nun aus der Perspektive des solchermaßen verstandenen Westens zurückblickt auf die vergangenen 20 Jahre, fällt es sicherlich nicht schwer, sich an die Träume der Jahre nach 1989 zu erinnern. Sie waren geprägt von der lange gehegten Hoffnung auf mehr Frieden, mehr Sicherheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Wohlstand. Für den Westen und die Ordnungsmodelle, für die er stand, schien es keine Grenzen zu geben. Schließlich hatten sich Demokratie und Marktwirtschaft im Systemwettbewerb mit dem Kommunismus durchgesetzt. Sogar vom »Ende der Geschichte« haben wir geträumt. Doch diesem träumenden und siegestrunkenen Westen sollte ein böses Erwachen bevorstehen.
Die Träume von 1989
    Im Rückblick auf die Jahre zwischen 1989 und 1991 war die Welt noch in Ordnung. Für einen kurzen historischen Moment haben wir nichts anderes erwartet als mehr Sicherheit und Frieden.
    Als Politiker, der unmittelbar am Geschehen beteiligt war, erinnert sich Wolfgang Schäuble, damals Chef des Kanzleramtes und heutiger Bundesminister, sehr lebhaft: »Die Stimmung des Abends am 9. November 1989 erscheint aus dem Blickwinkel des Jahres 2003 (und erst recht 2011, E.S.) nahezu unwirklich und fremd. Die Freude, das Staunen, die Euphorie, das Unbegreifliche – ja, und eben auch dieses tief empfundene Gefühl des Glücks vor allem bei uns Deutschen: Es wirkt wie ein Ereignis aus grauer Vorzeit, aus einer längst vergangenen Epoche. Nicht allein in Deutschland, sondern weltweit machte sich die Hoffnung breit, dass nunmehr der Konfliktzwischen Ost und West, der sich in der unmenschlichen Berliner Mauer in Stein und Zement manifestiert hatte, zu einem friedlichen Ende gelangen würde. Mit diesem Ende des Kalten Krieges verknüpften Menschen auf der ganzen Welt hohe Erwartungen. In den Staaten und Völkern des Westens war man sich einig in der Zuversicht und der Überzeugung, dass das westliche Gesellschaftsmodell zum Vorbild einer freien, friedlichen und demokratischen Welt geworden war.« 8
    Heute erscheinen solche Einschätzungen fast unwirklich, aber auf jeden Fall euphorisch. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Welt von heute zeigt überdeutlich, dass beispielsweise in Fragen globaler Sicherheit das genaue Gegenteil der Hoffnungen von damals eingetreten ist: Wir haben heute nicht weniger Kriege, wir haben mehr Kriege. Und wir haben festgestellt, dass der Ost-West-Konflikt – diese dramatische Konfrontation zwischen den USA und der UdSSR und ihren jeweiligen Partnern – in weiten Teilen der Welt eine dämpfende Wirkung in vielen Regionalkonflikten hatte. Und manches, was wir seither an kriegerischen Ausbrüchen mit zum Teil Hunderttausenden von Toten vor allem in Afrika und Asien erlebt haben, wäre zu Zeiten des Kalten Krieges so nicht möglich gewesen. Bei nüchterner Betrachtung bleibt nur die einfache Feststellung, dass die lieb gewordenen Denkmuster in unseren Köpfen nicht mehr funktionieren. Manches erscheint uns geradezu paradox. Wir haben zwar den Systemkonflikt des Kalten Krieges gewonnen – aber weniger Sicherheit erhalten.
    Aber damit nicht genug. Wir haben natürlich auch davon geträumt, dass sich Demokratie und Marktwirtschaft weltweit durchsetzen werden oder doch zumindest kurz davor stehen, ihren endgültigen globalen Siegeszug anzutreten. Unter dem Eindruck des siegreich beendeten Ost-West-Konflikts schienen die goldenen Zeiten von Globalisierung und Wohlstand auszubrechen. Auch das war ein Irrtum, weil wir feststellen mussten, dass die Schere zwischen Arm und Reich weltweit
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