Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
Vom Netzwerk:
weiter und schneller aufgeht als zuvor. Und spätestens seit der Finanzkrise von 2008, ausgelöst durch Spekulationen von US-Banken, ist die Attraktivität des westlichen Modells grundsätzlich infrage gestellt.
    Und schließlich haben wir davon geträumt, dass multilaterale Zusammenarbeit die Welt nach der großen bipolaren Konfrontation prägen würde. Dass diese in den letzten 15 Jahren sehr viel effizienter geworden sei, kann man nach den Debatten um den Zweiten Golfkrieg und dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember 2009 kaum noch behaupten. Die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen hat nicht signifikant zugenommen. Und die Bereitschaft großer Nationalstaaten zur multilateralen Zusammenarbeit bleibt bestenfalls begrenzt. Ob es um ein Kyoto-Protokoll oder um einen Internationalen Strafgerichtshof, um Währungsstandards, Zusammenarbeit im Welthandel oder den nachhaltigen Schutz von Umwelt geht – nichts funktioniert in der Praxis so multilateral, wie wir es uns in der Theorie zurechtgelegt haben. Frustriert, aber zutreffend bringen es zwei deutsche Journalisten auf den Punkt: »Zehn weltumspannende Gipfeltreffen hat es seit November 2008 gegeben. So viel gemeinsames Suchen war selten, so viel globales Regieren nie. Man kann die Welt so sehen. Doch ehrlicher wäre eine andere Deutung. Danach haben die Regierungschefs in Kopenhagen versagt, in London und Pittsburgh schöne, aber wirkungslose Papiere geschrieben und in Genf ihre Handelsvertreter wie jedes Jahr palavern lassen – ohne Resultate. Mitnichten entsteht so eine neue globale Ordnung, in der Staaten gemeinsam die großen Probleme zu lösen versuchen. Stattdessen marschieren sie zurück in die ganz alte Welt: die des 19. Jahrhunderts, die der Nationalstaaten. Und in der betreiben alte und neue Mächte offener denn je pure Interessenpolitik, immer getrieben von den ganz eigenen ökonomischen Problemen. Globales Regieren? Außer Spesen nichts gewesen!« 9 Diese Kritik soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gelegentlich auch Lichtblicke gibt. Der Gipfel von Cancún im November 2010 ist ein solches Beispiel. In buchstäblich letzter Minute haben sich die Delegierten des Klimagipfels auf einen Kompromiss verständigt, der eine Reihe von Klimaschutzmaßnahmen festschreibt, auf die sich die Staatengemeinschaft bislang nicht verständigen konnte. Grund zu übertriebener Euphorie ist das trotzdem nicht. Gerettet wurde zunächst nur der Prozess der Klimaverhandlungen unter dem Dach der UNO. Wie diekonkreten Ergebnisse für eine tatsächliche und effiziente Bekämpfung des Klimawandels aussehen, bleibt wie immer abzuwarten. In Anbetracht vergangener Erfahrungen ist Skepsis mehr als angebracht.
    Es bleibt unter dem Strich also nur eine ernüchternde Bilanz. All diese Träume, die unser Denken nach dem Ende des Ost-West-Konflikts so sehr bestimmt haben, sind im letzten Jahrzehnt regelrecht zerplatzt. Im zweiten Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer kam alles anders, als wir es uns im ersten Jahrzehnt vorgestellt haben. Ein »höllisches Jahrzehnt« (»A Decade from Hell« 10 ) nannte das amerikanische Time Magazine die letzten zehn Jahre und der Spiegel sekundierte mit der Titelschlagzeile »Das verlorene Jahrzehnt« 11 . Die Reaktionen, die wir im Westen in unseren öffentlichen Debatten gezeigt haben, waren von Schock und Verunsicherung, die entsprechenden Reaktionen zu einem guten Teil aber auch von blankem politischem Aktionismus geprägt, der im Rückblick wenig dazu beitrug, tatsächliche Abhilfe zu schaffen.
    Ein kritischer Blick auf die wesentlichen Ereignisse des letzten Jahrzehnts zeigt, dass wir ein ums andere Mal auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Im Rückblick waren es zwei Arten von Veränderungen, die jeweils zum gleichen Ergebnis geführt haben: Unerwartete Schockereignisse und schleichende Trends haben offensichtliche Machtverschiebungen nach sich gezogen. Noch sind wir nicht wirklich in der Lage, die Auswirkungen dieser Machtverschiebungen genau einzuschätzen. Das Erwachen aus den Träumen von 1989 wird begleitet von Ereignissen, die wie Paukenschläge zu echten Schockerlebnissen für den Westen wurden.
Schockwellen
    Erinnern Sie sich noch an die ersten Tage des Irak-Krieges im März 2003? Ein neuer Ausdruck geisterte durch die internationale Medienlandschaft. Meist unübersetzt wurde er zum Mantra der Kriegsberichterstattung im CNN-Stil: »Shock and Awe« (Schock und Schreckensstarre). Mit diesem Begriffglaubte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher