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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition)
Autoren: Stephan Martin Meyer
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die
Klasse.

3. Kapitel
    Nun stand Paul unter der heißen Dusche. Er mochte diesen Moment,
wenn das Training vorbei war und er für einen Augenblick allein in
den Waschräumen war. Er genoss die Ruhe. Nach und nach kamen die
anderen dazu, und es war vorbei mit der Stille. Sie schrien und
lachten laut, sie schlugen sich mit nassen Handtüchern und holten
die letzten Energiereserven aus sich heraus. Paul machte mit. Es war
eine regelrechte Schlacht, bis zur Erschöpfung. Nun wurden die
taktischen Züge und Entscheidungen des Trainers kritisiert oder
verteidigt, je nach dem, wer daraus Vor- oder Nachteile gezogen
hatte. Das anstehende Spiel gegen eine der anderen Jugendmannschaften
wurde schon jetzt für gewonnen erklärt. Alex, der größte der
Gruppe, prahlte schließlich damit, ein Mädchen aus dem Jahrgang
über ihnen geküsst zu haben. Jens erzählte von der Party bei einem
Kumpel, wo er mit einem Mädchen in einer dunklen Ecke geknutscht
hatte. Heimlich verglichen sie sich miteinander. Jedes sprießende
Haar nahmen sie zur Kenntnis. Alex betonte mehrfach, dass er
ununterbrochen könne und sich täglich mindestens fünfmal einen
runterhole. Paul konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Alex drehte
sich von ihm weg, als er das bemerkte. Paul rasierte sich täglich.
Nicht dass das nötig gewesen wäre, nein, aber er tat es. Das
beeindruckte seine Freunde. Er wusste, dass sie hinter seinem Rücken
über ihn redeten.
    Erst als der Trainer in der Tür stand, kam wieder Ordnung in die
Gruppe. Er scheuchte sie aus den Duschen. Mit nassen Haaren trotteten
sie wenige Minuten später hungrig aus den Umkleideräumen über den
Sportplatz und strebten dem Ausgang zu. Dort, außerhalb der
Sichtweite des Trainers, konnten sie sich ihre Zigaretten anzünden.
Die Zweige der Kastanien ragten über die Straße, erste Blätter
hatten den Versuch unternommen, sich nach Außen zu arbeiten.
Regenwolken hingen tief über der Stadt. Kaum hatte Paul dreimal an
der Zigarette gezogen, da bog Carla mit ihrer Freundin um die Ecke.
    „ He,
Carla, kommste noch mit zu mir nach Hause?“ rief er quer über die
Straße. „Ich kann dir meine Briefmarkensammlung zeigen.“ Die
Jungs lachten.
    „ Halt
die Klappe.“ Carla hatte den Kopf kaum in Pauls Richtung bewegt.
„Sonst lasse ich dich morgen nicht abschreiben.“
    Sie schlenderte mit ihrer Freundin weiter die Straße entlang und
verschwand um die nächste Ecke. Paul hatte schlechte Laune. Er nahm
seine Tasche, zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und ging los.
Er stapfte, den Kopf eingezogen, mit zügigen Schritten auf die Villa
seiner Eltern zu. Vor dem Haus blieb er stehen. Sein Vater war
offensichtlich noch nicht da, seine Mutter konnte er in der Küche
erkennen. Etwas hing in der Luft. Er spürte es wie die elektrische
Spannung, am Ende eines heißen Sommertages, kurz bevor sich das
Gewitter mit Getöse, Blitzen und einem kräftigen Regenguss entlädt.

4. Kapitel
    Das Haus im Süden der Stadt stand versteckt hinter einer hohen
Hecke, durch die der Garten auch im Winter nicht einsehbar war. Ein
schmiedeeisernes Tor, eingefasst von einem gemauerten Bogen, gewährte
all denen, die sich über die Gegensprechanlage auswiesen, Einlass.
Hinter dem Tor kam eine luxuriöse aber schlichte Villa zum
Vorschein. Es war ein rechteckiges Gebäude aus Beton, ein Flachbau
mit großen Glasfenstern, die den Blick von außen durch das gesamte
Haus ermöglichten. Die Fassade war weiß gestrichen und so wirkte
das zweigeschossige Haus hier irgendwie falsch, denn es hätte viel
besser auf eine Insel im Mittelmeer gepasst, als an den Rand einer
deutschen Kleinstadt. Um das Gebäude herum erstreckte sich ein
weitläufiger Garten mit alten Bäumen, vornehmlich Kastanien und
Buchen. Krokusse und Schneeglöckchen hatten sich den Weg ans Licht
gebahnt und tauchten die vom Winter noch etwas blasse Wiese in ein
zartes Feuerwerk weißer, gelber und blauer Sprenkel.
    Paul schlich sich ins Haus, in der Hoffnung, nicht gehört zu werden.
Aber seine Mutter stand schon in der Tür, als er am Wohnzimmer
vorbeigehen wollte.
    „ Wieso
kommst du denn jetzt erst?“, fragte sie.
    Groß gewachsen, sehr schlank, die Haare hoch gesteckt, beobachtete
sie ihn scharf. Selbst zu Hause trug sie immer die besten Hosen und
den letzten Schrei, der sich in den Boutiquen der Innenstadt
auftreiben ließ. Nur die Füße waren nicht auf Besuch eingestellt,
denn zwischen den Zehen steckten Watteröllchen, die Nägel waren
frisch lackiert und
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