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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition)
Autoren: Stephan Martin Meyer
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betreten erlaubt. Dort hing
auch das Schild „Pizza legen 10 Euro“, das den anwesenden Jungs
offensichtlich nicht als Abschreckung, sondern vielmehr als Anreiz
diente.
    Johan saß auf einem der Barhocker und guckte gelangweilt in den
Raum. Nils wurde zusehends betrunkener, hin und wieder wurde die
Tanzfläche in der Mitte des Raumes mit lautem Geschrei gestürmt.
Johan konnte dem Ganzen nichts abgewinnen. Heimlich schaute er auf
seine Uhr, aber es war noch viel zu früh, erst zehn Uhr. Wenn er
jetzt schon ginge, dann wäre er endgültig als Langweiler
verschrien.
    Zwei Stunden später stand Johan immer noch an der Theke und linste
auf seine Armbanduhr. Kurz vor Zwölf. Johannes und die anderen Jungs
konnten sich kaum noch auf den Beinen halten, Nils war nirgendwo zu
sehen. Johan beschloss, sich aus dem Stab zu machen. Er wollte sich
auch nicht von Sofie verabschieden, das wäre ihm peinlich gewesen.
    Er ging zügig aus dem Raum und schlich über den Flur nach draußen.
Dort traf er auf Nils, der sich die Seele aus dem Leib kotzte. Er
stand an die Hauswand gelehnt und beugte sich in regelmäßigen
Abständen vor, um eine Mischung aus Bier und Magensäure
herauszuwürgen. Einen Moment lang überlegte Johan, ob er ihm helfen
sollte, verwarf dann aber den Gedanken, zog seine Jacke an und
verschwand um die Ecke.
    Seine Eltern saßen noch im Wohnzimmer und unterhielten sich, als ihr
Sohn leise zur Tür hereinkam. Bei dämmeriger Beleuchtung saßen sie
auf dem Sofa und tranken Rotwein, die Flasche war fast leer. Sein
Vater fragte, wie es gewesen war. Seine Mutter rückte ein wenig zur
Seite, damit auch für ihn noch Platz auf dem Sofa war. Aber Johan
wollte nicht mit seinen Eltern reden. Er wollte nicht erzählen, dass
die Party scheiße gewesen war. Und er wollte schon gar nicht davon
erzählen, dass er zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte. Von
der Zigarette, die sie ganz bestimmt riechen würden, wenn er sich
erst einmal zu ihnen gesetzt hatte, ganz zu schweigen. Nein, er
wollte einfach nur ins Bett, sich die Decke über die Ohren ziehen.
Er wollte den Abend vergessen. Also ging er in sein Zimmer, zog sich
aus, putzte sich im Bad akribisch die Zähne, um den fiesen Geschmack
loszuwerden und legte sich schlafen. Natürlich schlief er nicht. Er
lag wach. Der Abend ging ihm wieder und wieder durch den Kopf. Nils,
Sofie, Johannes. Was fand Nils bloß an dem? Er war ein Blender. Nils
sah das offenbar nicht. Aber Nils war heute auch anders als sonst
gewesen. Johan hatte den Eindruck, dass Nils ihn nur brauchte, damit
er das Laptop mitbrachte.
    Er griff nach einem Buch, das er sich in der Bibliothek geliehen
hatte. Es dokumentierte berühmte Kriminalfälle der vergangenen
fünfzig Jahre. Er hatte das Buch am Nachmittag entdeckt und war
gebannt von den Fotos der Mörder und Entführer, den Drohbriefen und
vergilbten Dokumenten. Besonders hatte es ihm ein Entführungsfall
aus den 80er Jahren angetan. Johan blieb am Gesicht der angeklagten
Frau hängen, um das Böse aus ihm herauszulesen. Aber so ganz wollte
ihm das nicht gelingen.

6. Kapitel
    Paul saß neben Marcel in der letzten Reihe und beugte sich über
eine schier unendliche Zahlenreihe der Mathearbeit. Er verstand
nichts von dem, was in den Aufgaben stand. Er wollte es auch nicht
verstehen. Vor ihm saß Ingo, der Klassenstreber, der immer alles
wusste und nie eine schlechte Note schrieb. Er schielte nach links
und sah, dass es Marcel nicht viel besser als ihm ging. Er hatte aber
immerhin ein paar Aufgaben lösen können. Ein Blick nach rechts
versicherte ihm, dass Carla dagegen erheblich gründlicher
vorbereitet war. Das hatte er erwartet. Sie bemerkte seinen Blick und
schob ihren Aufgabenzettel ein paar Zentimeter näher in seine
Richtung. Mechanisch schrieb er die Zahlen von Carlas Zettel ab und
bemerkte dabei nicht, dass er langsam immer weiter in ihre Richtung
rutschte. Erst als Carla ihren Zettel wieder zurück zog, ahnte Paul,
dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte. Er guckte hoch und
sah direkt vor sich ein helles Cordsakko und einen dunklen Pullunder.
In dem Pullunder steckte sein Lehrer. Der guckte ihn freundlich an.
Allerdings nahm er ihm unnachgiebig den gerade mit Zahlen gefüllten
Zettel weg. Daraufhin bat er Paul, seine Stifte zu nehmen und ihm
nach vorne an das Pult zu folgen. Paul musste sich direkt an seinen
Tisch setzen. Hinter sich hörte er ein leises Kichern. Der Lehrer
bat um Ruhe, Paul bekam den Aufgabenzettel erneut, und er
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