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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition)
Autoren: Stephan Martin Meyer
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versuchte
verzweifelt, sich an die Zahlen zu erinnern, die er einige Minuten
vorher bei Carla abgeschrieben hatte. Aber sein Kopf war leer, und er
gab lediglich den leeren Zettel ab. Sein Lehrer ließ ihn nicht
gehen, sondern stellte ihn zur Rede.
    „ Warum
machst du denn so einen Scheiß? Wie wäre es, wenn du dich mal auf
deinen Allerwertesten setzt und ein bisschen lernst.“
    Paul zuckte mit den Schultern.
    „ Du
kannst dich jederzeit an mich wenden, wenn es irgendwas gibt, was
dich belastet.“
    Der Mathelehrer packte die letzten Unterlagen in seine Tasche, guckte
Paul noch einmal erwartungsvoll an und ging dann mit einem kurzen
Gruß davon. Sofort kamen Marcel und Carla in den Raum gestürzt.
    „ Danke,
dass ich bei dir abschreiben durfte“, sagte Paul zu Carla. „Wollen
wir heute ins Kino gehen?“
    „ Diese
Woche kann ich nicht, heute gehe ich Reiten und danach bin ich übers
Wochenende mit meinen Eltern unterwegs. Was ist denn mit Ende
kommender Woche?“
    „ Ach
Mist, da bin ich mit meinen Eltern im Urlaub. Danach gehen wir aber,
oder?“
    „ Klar,
ruf mich an, wenn du zurück bist. Wo fahrt ihr denn hin?“
    „ Wir
fahren in die Berge. Das ist zum Gähnen langweilig. Den ganzen Tag
lang nur wandern und ´grüß Gott´ sagen. Meine Eltern fahren da
schon seit Jahren hin. Immer in die gleiche Pension.“
    Carla verabschiedete sich und Paul schlenderte mit Marcel über den
Flur. Im Gegensatz zu Johans Schule in der Nordstadt, war dieses
Gymnasium im Stadtzentrum ein altehrwürdiges. Seit Jahrhunderten
wurden hier die Eliten der Stadt ausgebildet. Alte Mauern, hohe
Decken, Flure, die durch ihre Weitläufigkeit in erster Linie
einschüchterten. Wer etwas auf sich hielt, schickte seine Kinder auf
dieses Gymnasium.

    Nach dem Unterricht rannte Paul nach draußen und zog einen Tross
Jungs hinter sich her. Sie pöbelten vor der Schule herum, kickten
eine leere Plastikflasche, die sich hierhin verirrt hatte, immer
wieder an die Wand, bis der Hausmeister sie entnervt verscheuchte. An
der Bushaltestelle trafen sie Ingo, den Klassenbesten, der auf einem
niedrigen Holzzaun saß, auf den Bus wartete und in ein Buch vertieft
war. Die Straße war leer, sie fiel leicht in Richtung Schule ab. An
der Bushaltestelle mussten kurz vorher noch viele Schüler gewesen
sein, denn überall lag Papier und Müll herum, den noch nicht einmal
der Wind in den Rinnstein getrieben hatte. Die Haltestelle war
dreckig und mit Stiften verschmiert, der einfache Zaun, nur etwa 50
Zentimeter hoch, war an mehreren Stellen gebrochen. Dahinter befanden
sich Hagebuttensträucher, auch diese vor Müll und Dreck strotzend.
Außer Ingo war niemand an der Haltestelle.
    „ Na,
hat dich dein Papi vergessen?“, fragte er Ingo.
    Der guckte nach oben, schüttelte den Kopf und las weiter. Paul baute
sich vor ihm auf.
    „ Kannst
du nicht reden? Oder bin ich dir nicht schlau genug?“ Er stand vor
Ingo und guckte ihn von oben herab an. Der ließ das Buch sinken, um
Paul zu betrachten.
    „ Nein,
Paul, du bist mir nicht nicht schlau genug.“
    Wieder senkte er den Kopf, um weiter zu lesen. Für einen kurzen
Moment dachte Paul an Johan. Er hatte ihn seit einem Jahr nicht mehr
getroffen. Sie sahen sich immer nur im Frühjahr, in den Ferien, wenn
beide mit ihren Eltern in die Berge fuhren. Ingo erinnerte ihn an
Johan. Der hätte sicherlich genau das gleiche gesagt. Ihm ging durch
den Kopf, dass seine Mutter erzählt hatte, Johan sei vor kurzem in
ihre Stadt gezogen. Gar nicht weit weg. Er schob den Gedanken zur
Seite und riss Ingo das Buch aus der Hand. Seine drei Kumpels standen
hinter ihm. Ingo zuckte zurück.
    „ Na,
dann wollen wir doch mal sehen, was du da liest.“ Er klappte das
Buch zu und schaute auf den Titel. „Brecht. Der Herr liest Brecht.
Das Leben des Galilei.“ Er zeigte das Buch kurz seinen Kumpels. „So
ein Scheiß!“
    Ingo war sitzen geblieben und guckte wieder nach oben. Paul stand nur
wenige Zentimeter von ihm entfernt und schleuderte nun das Buch in
die Büsche hinter Ingo.
    „ He,
was soll das?“, fragte Ingo.
    „ Was
denn? Willst du dich beschweren?“ Paul beugte sich nach unten. Sein
Gesicht schwebte nun direkt über dem von Ingo. „Na, was ist. Hast
du Schiss?“ Er stupste Ingo leicht vor die Brust.
    „ Nein,
ich habe keinen Schiss. Lass mich einfach in Ruhe!“
    Ingo versuchte aufzustehen. Das nutzte Paul, um ihn nach hinten zu
stoßen. Ingo fiel rückwärts über den Zaun in die Büsche.
    „ Oh,
entschuldige. Habe
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