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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dröhnenden Kabummm dieses Ungeheuers von einer Uhr, einem Geräusch, das selbst langjährigen Bewohnern des Hauses am Ashton Place Nr. 9 immer wieder einen eisigen Schauer über den Rücken jagte, und als der letzte Glockenschlag verhallte, hatten sich bereits große, grauenerregende Dinge in jener unsichtbaren Welt hinter der Wirklichkeit getan.
    Ich allerdings hatte in diesem Moment noch keine Ahnung von alldem und hätte auch wahrscheinlich der lächerlichen Vorstellung vom Erwachen irgendwelcher chthonischer vorzeitlicher Gottheiten oder dem Fluch blasphemischer Dämonen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mit den Nachwirkungen des Alptraumes fertig zu werden, aus dem ich gerade erwacht war. Als der letzte Schlag des Uhrungeheuers vibrierend verhallte, öffnete ich die Augen. Mißtrauisch und einstweilen eher verwirrt als ängstlich, obgleich ich, weiß Gott, Grund dazu gehabt hätte sah ich mich um. Etwas war geschehen und es war nicht nur der Alptraum, was mich so beunruhigte.
    Sekundenlang blieb ich reglos liegen, starrte die Decke über meinem Kopf an und versuchte das Gefühl als Hirngespinst abzutun, aber es gelang mir nicht.
    Mein Herz klopfte. Unter der dünnen Decke war ich in Schweiß gebadet, und in meinem Magen war noch ein schwacher Nachhall jener entsetzlichen, körperlosen Angst, die mich während des Alptraumes geplagt hatte. Es war nicht das erstemal, daß ich diesen Traum träumte, immer den gleichen, scheinbar völlig sinnlosen Traum, in dem ich rannte und rannte und rannte und im Grund nicht einmal wußte, wovor ich floh, und aus dem ich stets aufwachte, wenn der Mann mit dem Messer über mir stand.
    Aber etwas war anders, heute. Ein Hauch von Bedrohung, etwas wie der das Wort kam mir selbst lächerlich vor, aber ganz genau das war es, was ich in diesem Moment empfand
    wie der Odem des Bösen hing gleich einem unsichtbaren Pesthauch in der Luft und machte das Atmen schwer.
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß ich dieses Gefühl aus meinen Träumen kannte. Vergeblich versuchte ich mir einzureden, daß vielleicht dies schon die Erklärung sein mochte: Ich hatte mich noch nicht ganz aus der Scheinrealität des Alptraumes gelöst.
    Aber ich fühlte mich hellwach.
    Ich machte Licht, setzte mich auf und sah mich in dem gro-
    ßen, zum Studio umgebauten Dachzimmer um. Alles schien normal. Das Haus war sehr still, und hier in dem ruhigen Vorort war selbst von dem lauten Treiben der Zehn-Millionen-Stadt nur ein entferntes Murmeln und Raunen zu hören, kaum mehr als das Geräusch leiser Meeresbrandung. Das Zimmer sah aus wie immer: Ein großer Raum, dessen rechte Dachhälfte aus Glas bestand, mit überquellenden Regalen voller Bücher und Schallplatten an den Wänden und wenigen, aber ge-schmackvollen Möbeln. Das einzige andere Lebewesen war Merlin, mein übergewichtiger Albinokater, der mich jetzt ob der jähen Störung über den Rand seines Katzenkorbes hinweg vorwurfsvoll anblinzelte.
    Nein, niemand war hier. Niemand war hereingekommen, seit ich zu Bett gegangen war was auch gar nicht möglich gewesen wäre, denn vom Personal wohnte keiner außer der Haushälterin im Haus, und die hatte heute Ausgang, und meinem Großvater waren die fast vierzig Stufen zu meinem Dachkammerreich schon lange zu anstrengend geworden; schließlich ging er auf die Neunzig zu, auch wenn er sich gut gehalten hatte und noch sehr rüstig war.
    Und trotzdem war ich für einen Moment völlig sicher, nicht mehr allein zu sein. Etwas war im Zimmer, unsichtbar, aber deutlich zu fühlen, so deutlich wie jener gestaltlose Verfolger in meinem Traum. Es war, als hätte etwas mit unsichtbaren eisigen Fingern meine Seele berührt.

    Erneut sah ich mich um, ohne etwas Ungewöhnliches entdecken zu können, und wollte mich schon wieder zurücklegen, als mein Blick durch Zufall noch einmal Merlins Korb streifte.
    Und was ich sah, ließ mir fast das Blut in den Adern gerinnen.
    Der weiße Kater hatte sich stocksteif aufgerichtet.
    Sein Kopf ruckte mit kleinen nervösen Bewegungen unablässig von rechts nach links und wieder zurück, und sein Fell war gesträubt. Seine kleinen roten Albinoaugen funkelten, als wäre ein Feuer dahinter angegangen, sein Maul stand halb offen, so daß man seine ehrfurchtgebietenden Fänge sehen konnte, seine Schnurrhaare zitterten. Irgend etwas war hier nicht in Ordnung, ganz und gar nicht, und der Kater spürte es so deutlich wie ich.
    Entschlossen trat ich
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