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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kopfsteinpflaster heran.
    Dieses schwere, feuchte Schleifen war keine Einbildung, und der Laut verfolgte ihn noch, als er ihn schon längst nicht mehr hörte. Ein eisiger Schauer jagte über seinen Rücken. Eine neue, sonderbar körperlose Angst stieg in ihm auf, und für einen Moment wünschte er sich fast, die Schatten seiner Verfolger hinter der nächsten Straßenecke auftauchen zu sehen, einfach um sich überzeugen zu können, daß sie wenigstens Menschen waren. Als ob es einen Unterschied machte, wer ihn umbrachte!
    Aber das stimmte nicht. Es gab einen Unterschied, das wußte er, und es gab Dinge, die schlimmer waren als der Tod.
    Tausendmal schlimmer.
    Er ging weiter, erreichte eine Straßenkreuzung und blieb einen Moment lang unschlüssig stehen. Zwei Schritte neben ihm türmte sich ein fast mannshoher Stapel überquellender Abfalltonnen, Kisten und vom Regen halb aufgeweichter Kartons voller Unrat an der Hauswand. Links und rechts erstreckte sich die Straße leer und schwarz wie eine Schlucht, weiter geradeaus gab es ein paar Laternen, und er war nicht sicher, aber er glaubte es wenigstens hinter den geschlossenen Läden eines Hauses schien ein gelbes Gaslicht zu leuchten.
    Vielleicht fand er dort Hilfe.
    Einen Wagen oder möglicherweise auch einen dieser neumo-dischen Telefonapparate, mit denen er Hilfe herbeirufen könnte.
    Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als er begriff, wie absurd er war. Niemand, der in dieser Gegend lebte und seine fünf Sinne beisammen hatte, würde nach dem Dunkelwerden die Tür öffnen, wenn es klopfte, und Telefonapparate gab es vielleicht in den großen Hotels drüben in Maylair und in den Häusern einiger weniger Wohlhabender, aber nicht hier in diesem Elendsviertel. Nein hier war niemand, der ihm helfen würde.
    Er zögerte noch einen Moment, dann trat er an den Abfall-haufen heran und riß mit einer entschlossenen Bewegung ein loses Brett von einer Kiste. Eine jämmerliche Waffe aber wenigstens würde er nicht mit leeren Händen dastehen, wenn er sich verteidigen mußte.
    Als er sich herumdrehte, stand eine Gestalt hinter ihm, lautlos nie aus dem Boden gewachsen, ein großer, bulliger Kerl, in dessen Hand ein Springmesser blitzte wie eine Schlange aus Stahl.
    Im letzten Augenblick schnellte er zurück, konnte dem Hieb aber nicht mehr ganz ausweichen. Die scharfe Klinge zer-schnitt seine Weste und das Hemd, ritzte die Haut darunter und hinterließ einen langen, heftig blutenden Kratzer auf seinem Leib. Er schrie vor Schmerz und Überraschung, strauchelte und verlor auf dem schlüpfrigen Boden das Gleichgewicht. Er fiel, versuchte sich zur Seite zu rollen und gleichzeitig mit der Latte nach dem Angreifer zu schlagen, aber der Bursche war viel zu schnell für ihn. Mit einer raschen Bewegung duckte er sich weg, sprang gleich darauf wieder vor und trat ihm das Kistenbrett aus der Hand. Ein zweiter Fußtritt traf seinen Magen und trieb ihm die Luft aus dem Leib.
    Als sich die schwarzen Schleier vor seinen Augen wieder lichteten, stand der Bursche breitbeinig über ihm. Das Messer in seiner Hand blitzte im schwachen Widerschein der Gaslaterne, und sein Gesicht Großer Gott! dachte er entsetzt. Sein Gesicht! Sein Gesicht!

    Es geschah vor genau einhundert Jahren an einem achtzehnten Mai, Punkt Mitternacht, in London, aber es geschah auch jetzt und hier, ebenfalls an einem achtzehnten Mai, und ebenfalls Schlag Mitternacht in London und begonnen hatte es eigentlich vor zweihundert Millionen Jahren, möglicherweise auch an jener Stelle der damals noch jungen Erde, die sehr viel später auf den Namen London getauft werden sollte, und an einem Tag, der ein achtzehnter Mai gewesen wäre hätte es damals bereits einen Kalender gegeben.
    Für mich jedenfalls nahm alles in der ersten Minute des gerade geborenen achtzehnten Mai seinen Anfang, und es sollte mein Leben von Grund auf ändern, so sehr, wie sich das Leben eines charmanten, gutaussehenden und zugegebener-maßen reichlich verwöhnten zwanzigjährigen Millionärs-erben überhaupt nur ändern kann.
    Es begann mit dem ersten Schlag der monströsen Standuhr, die im Arbeitszimmer von Sir Roderick McFaflathe-Throllinghwort-Simpson III. stand, seines Zeichens mein Großvater und seit dem Tod meiner Eltern vor achtzehn Jahren so etwas wie Vater- und Mutterersatz in einem ob seines selbst für einen Briten wirklich zungenbrecherischen Namens nannten ihn seine Freunde übrigens einfach nur Mac. Wie gesagt es begann mit dem ersten,
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