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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Licht, aber er sah auch im Hellen kein bißchen vertrauenerweckender aus als im Halbdunkel der Nacht.
    Sein Begleiter wirkte auf seine Art beinahe noch bizarrer als der Riese. Er war ungefähr so groß wie ich, aber sehr viel schlanker, um nicht zu sagen dürr. Sein ausgemergeltes Asketengesicht wurde von einem schwarzen, sorgfältig ausrasierten Bart umrahmt und zwischen seinen dünnen, wie aufgemalt wirkenden Lippen qualmte eine stinkende schwarze Zigarre. Auf dem Kopf trug er einen Zylinder ja, tatsächlich, einen Zylinder! und auch der Rest seiner Kleidung war zwar pedantisch sauber und ordentlich, sah aber aus wie aus einem Kostümfundus: schwarzweiße Gamaschenschuhe, schmale Hosen und ein knappsitzender Cut, darunter ein weißes Hemd mit Stehkragen und Plastron. Seine Hände steckten in schwarzen ledernen Handschuhen, und in der Linken hielt er ein zierliches Stöckchen mit silbernem Knauf. Die beiden sahen aus, als wären sie gerade aus dem Wachsfigurenkabinett entsprungen.
    »Bitte?« sagte ich noch einmal.
    »Er isses, H. P.«, nuschelte der Riese. »Gar keen Zweifel nich. Er isses.«
    Der mit H. P. Angesprochene nahm die Zigarre aus dem Mund und nickte. Sein Blick schien sich regelrecht an meinem Gesicht festzusaugen, verharrte ein paar Augenblicke darauf und glitt dann weiter zu meinem Haar. Nicht, daß ich das nicht gewohnt war. Es gibt immer wieder Leute, die mich für einen Punker halten, obwohl ich das gar nicht bin, ganz im Gegenteil.
    Aber Mutter Natur hatte sich bei meiner Konstruktion einen harmlosen, wenn auch äußerst lästigen Scherz erlaubt: In meinem ansonsten pechschwarzen Haar befindet sich eine schlohweiße, blitzförmig gezackte Strähne, die vom Scheitel bis zur linken Schläfe reicht. Und der Blick H. P.s weckte meinen Ärger erneut.
    »Also, was kann ich für Sie tun?« fragte ich zum viertenmal.
    H. P. gab sich einen sichtbaren Ruck und lächelte.
    »Mister … Craven?« fragte er.
    Craven? Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, antwortete ich. »Aber Sie müssen sich täuschen. Hier gibt es niemanden dieses Namens.«
    H. P. sah mich erneut auf diese seltsam beunruhigende Art an. »Und mit wem habe ich dann das Vergnügen?« fragte er.
    Allmählich platzte mir doch der Kragen. »Ich bezweifle, daß es ein Vergnügen wird, Sir«, sagte ich betont, »wenn Sie mir nicht sofort sagen, was Sie wünschen. Es ist halb ein Uhr nachts!«
    H. P. seufzte, griff unter die Jacke und zog eine altmodische Taschenuhr hervor, die an einer dünnen goldenen Kette baumelte. Umständlich klappte er den Deckel auf, blickte auf das Ziffernblatt und sah dann wieder hoch. »Ihr Name ist Robert, nicht wahr?«
    »Ja«, fauchte ich. »Aber nicht Craven, sondern Robert McFaflathe-Throllinghwort-Simpson IV.. um ganz genau zu sein.«
    Goliaths Mundwinkel begannen verdächtig zu zucken, als er meinen vollen Namen hörte. »Er isses«, nuschelte er noch einmal.
    »Rowlf, bitte«, sagte H. P. Er lächelte entschuldigend, kam einen Schritt näher und zog an seiner Zigarre. Sie stank wie die Pest.
    »Wir müssen mit Ihnen reden, Robert«, sagte er.
    »Bitte, es ist wichtig. Das Ganze hier mag Ihnen sonderbar erscheinen, aber «
    »Sonderbar?« unterbrach ich ihn. »Das ist untertrieben, Sir.
    Wenn es wirklich wichtig ist, dann kommen Sie morgen wieder
    oder schreiben Sie mir.«

    »Es geht um Ihren Vater«, sage H. P.
    Mein Vater? Für einen Moment war ich verblüfft.
    Meine Eltern waren gestorben, ehe ich drei Jahre alt war. Ich hatte nicht einmal mehr eine Erinnerung an sie und Großvater sprach wenig über meinen Vater oder meine Mutter. Außerdem hatte ich im Moment anderes zu tun, als mich mit zwei Verrückten herumzuplagen. Ich dachte an Großvater, der jetzt allein mit dieser schrecklichen Uhr oben im Arbeitszimmer war.
    »Es tut mir leid, Sir«, sagte ich, so beherrscht ich konnte.
    »Aber mein Vorrat an Humor ist im Moment reichlich beschränkt. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden Sie können mich gerne anrufen oder morgen nachmittag wiederkommen.«
    Rowlf schien etwas sagen zu wollen, aber H. P. brachte ihn mit einem raschen Blick zum Schweigen und schüttelte nur traurig den Kopf. »Laß ihn«, sagte er. »Er hat recht. Wir haben einen … ungünstigen Zeitpunkt gewählt, scheint mir.«
    Er wandte sich wieder an mich. »Bitte entschuldigen Sie die nächtliche Störung, Sir«, fuhr er fort. »Aber ich würde mich freuen, wenn Sie mich bei Gelegenheit aufsuchen würden.« Er griff in die Westentasche und
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