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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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breittreten, ich weiß nicht, ob du weißt, was er für diese Stadt tut, wieviel Künstler ihm dankbar sein können, daß er mit ihren Produkten die Bank tapeziert, in wieviel Festivals junger Musik wir Geld gepumpt haben, auf seine Veranlassung, seinen Starrsinn hin, denn die meisten im Aufsichtsrat waren dagegen, – Ines –, sagte ich, – Dieses Gerede über die bösen Unternehmer, die alles zerstören, dabei möchte ich nicht wissen, wo dieses Land wäre ohne Unternehmer. Leute, die etwas wagen und sich nicht den Hintern auf Beamten- oder Angestelltensesseln wärmen. Keiner von diesen Fundamentalos oder wie die Spinner sonst heißen, wäre doch in der Lage, auch nur einen Laden mit zehn Angestellten verantwortlich zu führen. Die können immer nur kritisieren, machen können sie nichts. Ich wäre froh, wenn ich so einen Vater hätte, du weißt nicht, wie oft er über dich spricht, – Ines, ich bitte dich, – Nein, mein Lieber, du hörst mir jetzt zu, du wolltest ja wissen, was ich unter normalem Leben verstehe, also hör zu
    – ja, Ines, ich mißverstehe ihn, wie ich deinen Ex-Lover und deine Freunde mißverstand mit ihren Sprüchen und Spielchen: Weißt du, woran man einen Loser in Mitteleuropa hundert Pro erkennt? – Am Auto? – Nein, an den Zähnen; mir fiel derZahnarzt ein, bei dem ich bald einen Termin hatte, und ich schämte mich für die schief gewachsenen Schneidezähne in meinem Unterkiefer und mißverstand die Freunde, als sie grinsten und sich ihre schimmernden Gebisse zeigten, Ines lachte
    – etwas bewegen, das verstehe ich unter normalem Leben, gutes Geld für gute Leistung, gar nicht so simpel, wie’s klingt, mein Lieber. Ich hab nicht deine Chancen gehabt, mein Vater ist kein Aufsichtsratsmitglied, sondern ein einfacher Lohnbuchhalter bei der BASF. Ich will durchstarten, was erreichen in meinem Leben, verstehst du? Was, bitte schön, soll falsch daran sein, dabei auch auf seinen Gehaltsschein zu achten? Ich will mal was vorweisen können, auf das ich stolz sein kann, meine Eltern, meine Freunde
    – und nachts, wenn wir beieinanderlagen und ich den leisen, gleichmäßigen Atem deines Schlafs hörte, dachte ich an London, das du als Geschäftsreisende kanntest, ich dagegen als jemand, der dort aufgewachsen war, es gab den alten Gärtner in Kew Gardens noch, der uns nachts, wir waren aus einer Vorstellung von Covent Garden gekommen, das Gewächshaus mit den Bromelien und Bougainvilleen aufschloß, Hyde Park, wo die grauen Eichhörnchen so zutraulich waren, daß sie Ines Nüsse aus der Hand nahmen, dein Atem, dein Schlaf, ich lag schlaflos neben dir und versuchte deine Ruhe zu ergründen, fluppende Ventilatorenflügel über uns, die kreisenden Schatten an der Decke des Lofts, in dem die Lichter von den Baustellen draußen wie die Chemoantennen von Tiefseefischen lumineszierten, bizarre Kreaturen mit visierumrahmten Schädeln, martialisch, fremd, submarine Bronzebeile und Silberbarren in den Skizzenbüchern von Meeresforschern im Naturhistorischen Museum; wir übernachteten im Ritz, verrückt, sagte ich nur, verrückt, ich besuchte Mutter nicht in London, der Regen; schwarze Cabs, in der Nässe glänzend, schwammenwie Trilobiten die lichtbesprühte Uferstraße hinab; Victoria Embankment; Ines wartete auf mich an der Schiffsanlegestelle: Mit dir werde ich romantisch, Wiggo, das ist die Gemütskrankheit der Zahlenmenschen, du schaffst es noch soweit, daß das kleine Mädchen in mir erwacht, weiß nicht, ob das gut wäre; Piccadilly Circus, Pall Mall, Regent Street; für ihre windschiefen Maße und Gewichte muß man sie einfach lieben, diese Briten, findest du nicht, sie mied meinen Blick; wir fuhren die Themse hinab zur Tower Bridge, an der glitzernden Ufersilhouette der Stadt vorbei, rostige Dockanlagen, Royal Festival Hall, die künstlich muntere, durch das Megaphon blechern klingende Stimme des Ansagers, die gehorsam vollzogenen Kopfwendungen der Touristen, die Gischt an den Bordflanken, dann die zwillingstürmige, berühmte Brücke in den Nebelfernen des Flusses, Ines’ Haar, mit dem der Fahrtwind meine Wange kehrte, der Geschmack von Tang und Salz und Meer, waren wir glücklich, Ines, wie wir da vorn am Bug standen und, uns bei den Händen haltend, ins Dunkel starrten, ich wußte, daß du das Händchenhalten nicht mochtest, zu kitschig, was für Backfische, du sagtest nicht Teenager, benutztest das altmodische Wort; aber du warst es, die meine Hand gesucht hatte, damals in London, am Bug
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