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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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eines Themseboots; dein Atem neben mir, Ines, dein Schlaf, waren wir glücklich, damals in London
    – danach schrieb ich Bewerbungen, ich wollte nicht arbeitslos bleiben, wollte nicht zu den Losern treiben, wie Vater es ausgedrückt hatte, ich klapperte Stellenanzeigen ab tagein, tagaus, schrie mir den Frust aus dem Leib vor einer Wand in einem ebenso blödsinnigen wie nutzlosen Ego-Aufbau-Crashkurs, stylte meine Bewerbungen; aber je besser und professioneller ich sie machte, desto schneller kamen die Ablehnungen; Ablehnungen, ich weiß nicht, ob du begriffen hast, was dasbedeutet, Ausgang: Hoffnung; Eingang: Griff zum Rotstift, die Hoffnung von Floskeln verbrannt, Asche, wieder eine Adresse weniger, der Selbstzweifel, der sich wie ein Parasit eingenistet hatte und alles zernagte und zerfraß, was einmal Lebensfreude und Energie gewesen war, Ines, du schliefst ruhig neben mir und träumtest vielleicht von den großen Deals, die deine hippen Freunde dir mailten, wem zu gefallen, wirklich dir, was zu erreichen, deine Mitfreude oder eine imaginäre Sprosse auf einer imaginären Ranking-Liste, die brauchten keinen Ego-Aufbau-Crashkurs, den verabreichten sie sich täglich selbst, Dollar-Cocktails, Aktien-Dope, Big Spender in den Boomtowns all over the world, kletternde Spesen, kletternde Honorare, kletternde Rendite, kletternder Bonus, Extrabonus, Spezialbonus, und du mittendrin, innerhalb einer Woche flog ich mit dir neunzigtausend Meilen, Singapur, Hongkong, San Francisco, Madrid, Big Apple, wie du zärtlich und respektvoll sagtest, Statue of Liberty, Fackel im Morgenrot, die zwei versteinerten Schatzriesen des World Trade Center, Fasolt und Fafnir, dachte ich, twentyfourseven downtown Manhattan, früh halb vier Uhr frische Bagels und Shopping am Broadway, dreieinhalb Stunden Schlaf und trotzdem nicht müde, deine Freunde tranken Red Bull zum Frühstück
    – aber du, sagte Ines hinter mir, wie steht’s mit dir, was verstehst du eigentlich unter normalem Leben, komm, mein Lieber, raus damit, ich hör dir zu, – Sag mir, Ines: Meinst du das eigentlich ernst? – Was, wovon sprichst du? – Dieses: mein Lieber; ich weiß, man sagt das so, es ist eine Redensart, rutscht so raus, aber stimmt es, meinst du es ernst, bin ich dein Lieber, liebst du mich, – Oh Gott, auch das noch, ich hab’s kommen sehen
    – Glück, damals in London, deine Lippen, die ich zum ersten Mal sah an einem verhangenen Tag in derDirektionsetage einer Großbank, der Vateretage, wie ich sie bei mir nannte. Willst du kein normales Leben führen. Liebst du mich. – Verführen Sie meinen Sohn, hat dein Vater zu mir gesagt. Und wenn es Ihnen gelingt, werde ich dafür sorgen, daß Sie den Job in Singapur bekommen, – Was sagst du da, was redest du da, – Verdammt, was glaubst du eigentlich, wer du bist, denkst du, du bist unwiderstehlich, – Ines, was ist hier los, – Hör zu, Wiggo, Klartext. Du hast mich gut gebumst, hat Spaß gemacht, hatte ich ’ne Weile nicht mehr; aber it’s all over now, okay, wir trennen uns, und benimm dich bitte vernünftig, mein Flug geht morgen, – Ich verlange von Ihnen nicht, daß Sie sich verlieben, Frau ’t Hooft, ich bin nicht naiv, verführen Sie ihn, damit er wieder Geschmack an den Angelegenheiten des Lebens findet, den positiven wie den negativen. Nur seine Gleichgültigkeit ist schlecht. Er fängt sich schon wieder. Er ist robust, er ist mein Sohn. Würden Sie das für mich tun? Ich weiß, was ich von Ihnen verlange
    – ich höre seine Stimme aus deiner Stimme, Ines, ich drehte mich nicht um, als du zum Safe gingst, um mir den Vertrag zu zeigen; waren wir glücklich
    W ieso nehmen Sie Aspirin, Herr Ritter, das hatten wir doch abgesetzt und bisher, wie ich der Kurve entnehme, nicht wieder angesetzt, Sie wissen, daß dieses Medikament auf den Magen schlägt, ich muß Sie bitten, unseren Verordnungen Folge zu leisten, Novalgin-Kurzinfusion, Schwester, – Danke, Herr Doktor, erwiderte ich gelangweilt, der Arzt ging kopfschüttelnd hinaus
    – Unruhe, Rausch, Rausch, der Abzug von Torpedokörpern, hechtgrau, Lichtbuge, torkelnd von Geschwindigkeit, aufgequirlte Graffiti, U-Bahnen, die sich in die Dunkelheitbohrten und sie mit ihrem Licht durchlöcherten, niemand hindert dich, Zimmer in die Luft zu tasten, wenn du das Gefühl hast, nur so von Freiheit sprechen zu können, niemand hindert dich, der Pantomime deines Verständnisses von Freiheit zu sein, war man frei, wenn man Grenzen zog, ich sah Frauen, sah,
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