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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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etwas ändern zu können, aber man kann nichts ändern, nichts, nichts. – Was machst du hier? Wie bist du in meine Wohnung gekommen? Du bist betrunken. – Allerdings, murmelte Mauritz mit schwerer Zunge und starrte Manuela und mich mit glasigen Augen an. Er lachte rauh und abgerissen. Hab ich’s mir doch gedacht. Schwesterlein und der kleine Philosoph. Er trank einen Schluck, der Schnaps rann ihm über Kinn und Hals auf den Hemdkragen. Ich war an der Tür stehengeblieben und muß ihn entgeistert angesehen haben, denn er schüttelte langsam den Kopf, gluckste befriedigt, grinste. Habt ihr nicht gedacht, was, daß Mauritz Kaltmeister euch hier erwarten könnte. In des kleinen Philosophen ziemlich kahler Liebesklause. Wir müssen heute nacht hierbleiben, wir drei. Heimsuochunge. Er hob den Zeigefinger, lachte schief und lallte: Keine Unzüchtigkeiten, kleiner Philosoph. Wir sind eine keusche Familie. – Du wirst geschmacklos. Und da du betrunken bist, weißt du nicht, was du sagst. Er legte den Kopf zurück, schien in einen Dämmerzustand zu sinken. Oh doch, das weiß ich schon. Ich bin nicht ganz klar, auch wenn ich mir alle Mühe gebe, es zu sein ... Aber dieser flüssige russische Premier hier, er hob die Flasche, muß mir ein wenig beim Entspannen helfen ... – Mauritz ... – So hat Mama immer gerufen, mit dieser Stimme, weißt du noch,Schwesterchen ... Er prustete. Einschmeichelnd, und dann kam es: Ab ins Bett! – Das wäre wirklich das beste für dich. Wir schafften ihn nach nebenan, legten ihn aufs Bett, was er widerstandslos mit sich geschehen ließ
    – dann standen wir in der Küche, Manuela und ich, hast du Feuer, ich kramte meine gewohnten Gauloises hervor, die Streichholzflamme brannte unruhig, ich sah, bevor ich sie ablöschte, meine Züge in der Fensterscheibe, dann fiel mir ein, daß ich unhöflich war: Kann ich dir was anbieten, Kaffee, Tee? Von der Straße auf der anderen Seite des Hauses schallte Gelächter herauf, begleitet von den ins Quäkende verzerrten, von einer Hupe ausgestoßenen und mehrfach wiederholten ersten Takten des Mambo Number Five
    – vielleicht bin ich betrunken, ja, vielleicht werde ich verrückt ... Nichts ... Nichts kann man ändern, Schwesterlein. Es ist sinnlos, etwas ändern zu wollen. Mein Irrtum war, daß man nicht schwatzen, sondern handeln müsse ... Aber man kann nicht handeln. Man muß schwatzen. Wer handeln will in dieser Gesellschaft, wird über kurz oder lang zugrunde gehen
    [ PATRICK G. {...}] für mich ist es tierisch wichtig, daß man sich engagiert, sagte der Jungpolitiker, echt, das ist nicht bloß E-Mails abchecken und die Homepage verschönern – was? Geiles Teil, ja echt. Legalisierung von Hanf? Muß man abwägen, schwierige Frage ... Übrigens: Kennen Sie den? Sagt die Frau zu ihrem Mann: Wir haben seit Monaten keinen Sex mehr gehabt! Sagt der Mann: du
    – Veränderung ... Glaubst du daran, Wiggo? Gib mir deine Hand, gib sie her! Ich will wissen, ob du lügst, wenn ich dich etwas frage ... Man kann es an den Händen erkennen, wie sie sich bewegen, man fühlt es ... Vielleicht bin ich ein Verbrecher,vielleicht nicht, wer kann es sagen, wer will richten ... Was ist schon ein Verbrechen, kleiner Philosoph ... Du solltest nicht hier sein, Schwesterchen, und mich in diesem Zustand sehen ... Nicht schlecht, dieser russische Staatsmann, hehe, macht mir ordentlich die Zunge schwer ...
    [ PATRICK G. {...}] Champagnerpfropfen knallten, als die Konfettikanone losging und den Platz mit Schneegestöber überschüttete, durch das die Trampoline, der Meister und sein beleuchtetes Orchester nur schemenhaft zu erkennen waren, die vier Cellisten an Bord der vier Helikopter waren jetzt beim Gesang der Sphären angekommen, dem dritten Satz der eigens für diesen Anlaß komponierten Suite
    – es ist ein finsterer Traum, Wiggo, ein böser Traum, Mauritz lachte rauh, seine Stirn glänzte schweißnaß, und wir können nicht daraus aufwachen. Das sind Dämonen, diese Zeit ist dämonisch ... Die Leute amüsieren sich, sehen fern und essen Eis und bestellen Möbel bei Ikea und kontrollieren die Schulaufgaben ihrer Kinder und gehen Sushi essen ... Und merken nicht, daß sie verdammt sind ... Spürst du das nicht, Wiggo? Weißt du, ich ... habe etwas gesehen, Freiheit, freie Menschen
    – tu’s doch, du Feigling, tu’s doch tu’s doch
    – Mauritz zündete einen Sprengsatz in der stillgelegten Fabrik für Eierteigwaren, eine Stichflamme lohte hoch, brennende Kartons
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