Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
etwas geglaubt, und jede Karte, jeder Brief von ihm hat mich aufatmen lassen, plötzlich war da wieder Zukunft, waren die einfachen Dinge, der ganze Alltagskram, nicht mehr lästig und häßlich, sondern lebenswert ...
    – du bist mir wie ein Bruder, hatte Mauritz gesagt an jenem Nachmittag, aber könntest du mich auch lieben
    – war es die Isar, nein, ich irre mich, Herr Verteidiger, ich bringe die Dinge durcheinander, die Tage, die Zeiten, aber ich höre es, das narkotische Rauschen der Isar, sehe Mauritz im Müllerschen Volksbad erbarmungslos sein Programm abspulen, bahnauf, bahnab, eine halbe Stunde lang, er schwamm anderthalb Kilometer dabei, sehe meinen Körper, für den ich mich schämte und der im Vergleich zu Mauritz’ schlaff, weich und weibisch wirkte, wenngleich er schlank war, sehe den Bademeister auf die Jugendstildecke zeigen, den Kopf schütteln: Nur Verrückte drehen hier gegen die Stoppuhr ihre Runden
    – also werden wir jetzt die Sprengsätze anbringen, wie wir es geübt haben bei Frenss, wir werden sie zünden, und dann werden wir sehen, ob es den erwarteten Effekt hat. Die Pizzaverpackungen lassen wir alle liegen, ein paar Paletten können wir noch heranfahren. Das KaDeWe hat brechend volle Regale, auch am Wochenende, das wird ein ähnliches Feuerchen geben wie hier. Also, worauf warten wir
    – nein, das werden wir nicht tun, Mauritz
    – aber könntest du mich auch lieben, und wieder höre ich Manuelas Stimme, nicht im Hotel, sondern an jenem Abend, als Mauritz russisches Roulett spielte: Ich könnte mit dir schlafen, ich würde sehr zärtlich zu dir sein, und du würdest es gar nicht hören, wenn die Tür aufgeht und er hereinkommt, er würde sich zu uns legen, und das würde die Verbindung zwischen uns ... eine Verbindung für immer sein lassen, sie würde anders sein als das Übliche, für uns gelten doch diese spießigen Beschränkungen nicht, Wiggo, eine Verbindung für immer, er findet niemanden, ich habe Angst, daß er durchdreht und sich etwas antut ... Er ist völlig fertig, es würde etwas ganzAußergewöhnliches sein, wir würden uns nie wieder verlieren, wir wären vielleicht ... glücklich
    – soso, aussteigen willst du. Das ist nicht dein Ernst, – Doch, Mauritz, das ist mein Ernst, es muß Schluß sein, wir gehen jetzt hier raus, ganz ruhig, setzen uns ins Auto und fahren heim, – Fahren heim? Er blies die Wangen auf, prustete. Du bist ja ein Spaßvogel, kleiner Philosoph. Weißt du, wohin wir fahren, wenn wir heimfahren? Dorthin, wo Frenss schon ist. Wir müssen untertauchen, ist dir das klar? Komm runter von deiner Palme, du brauchst jetzt keine Panik zu entwickeln. Ich habe alles vorbereitet. Auch diesen Fall und diese Entwicklung muß man natürlich voraussehen und berücksichtigen. Hältst du mich für einen Stümper? Sie wissen nicht, wo wir sind, sie wissen nicht einmal genau, wer wir sind, wie viele undsoweiter. Noch nicht. Aber wir haben genügend Zeit. Auch wenn Großtantchen nicht mehr ihre Hand über uns hält. Ich war nie so dumm, mich allein auf ihre Verbindungen zu verlassen. Also los, sagte er und zog seine Pistole
    – Krankenwagensirenen, die in Richtung Danziger Straße davoneilten, das Geräusch der verrosteten, vom Wind ungleichmäßig gedrehten Lüftungsschachtkappen auf dem Dach des Altreifenlagers auf der Brache unten, Manuelas Stimme aus dem Dunkel hinter mir, jenseits der Brache leuchteten Fenster auf, Quitten im Ruß der Gründerzeitfassaden, ich zündete mir eine Zigarette an, blies den Rauch in die Nacht, wo er sich auswölkte, verwirbelte, zerstreute, das Rauschen des Flusses, das ich höre, ist es das Fieber, ist es das Blut in meinem Ohr, ist es die glimmende Isar an einem Sommertag oder der Verkehr auf der über eine Brücke verlaufenden Straße, auf die ich vom Küchenfenster aus sehen kann, nach dem Fest, das ich vorzeitig verlassen habe, das Manuela verlassen hat, Mauritz; Verkehr, der ein Band ununterbrochener Helligkeit war,in dem Straßenbahnen schwammen wie Aale in einer Schule Weißfische, Blaulicht, Abendstrom, der aus der City in die Peripherie drängte, Manuelas Gitanes schmeckten mir nicht, Feuernadeln sprühten im Dunkel, als ich sie wegwarf
    – du glaubst, ich bluffe nur? Er hob die Pistole, drückte ab. Das Geschoß traf klingend einen Stahlträger neben mir, sirrte als Querschläger durch die Halle, riß ein Loch in einem Stapel Pizzakartons
    – nichts, Wiggo, nichts kannst du ändern. Das ist die Wahrheit. Ich dachte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher