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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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eines Managers. Wir traten auf die Terrasse hinaus, die den Konferenzsaal in Richtung City öffnete. Unten hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Der Meister stand erhöht auf einem in Aquariumfarben schwimmenden Podest, weißgekleidet, mit Headset, Schaltkonsole und Joystick, Mikrophon und einem Assistentenstab, der über Laptops und Keyboards gebot. Popmusik schallte aus den Lautsprechern, die der Meister auf LKWs hatte installieren lassen. Jetzt hob er die Hand. Ein silberner Zeppelin stieg langsam in die Höhe. Die auf der Terrasse versammelte Gesellschaft klatschte Beifall
    – Vater hatte sich nicht angekündigt, ich hatte zufällig aus dem Fenster geschaut und gesehen, wie der dunkelblaue gepanzerte Mercedes in der Straße hielt, wie Vaters Chauffeur ausstieg und mißbilligend die Gegend musterte, den Blick an den Häuserwänden emporschweifen ließ und dann erst, nach einem Nicken, Vater das Aussteigen gestattete
    – meine Güte, sag ich ja immer. Da haben SieVersicherungsvermittler, Kapitalanlagenvermittler, und was glauben Sie, wie viele von denen einfach nicht rechnen können. Wieviel müssen Sie als Anleger monatlich sparen, um bei einem Effektivzins von acht Prozent in, sagen wir, zwanzig Jahren, dreihunderttausend auf der Kante zu haben?
    – er saß mir gegenüber, zündete sich eine Cohiba an, seine Stimme war etwas belegter als sonst: Nun denn, also du wohnst auch hier. Nett. Es ist klar, einfach, ruhig. Bauhaus. Das hat deine Mutter auch gemocht. – Was willst du? – Kannst du es dir nicht denken? Er wedelte das Streichholz ab, legte es auf den Rand des Aschenbechers auf dem Tisch. Ich komme als dein Klient, ganz einfach. Davon lebst du doch, von Klienten. Die du berätst, in Fragen praktischer Philosophie. Liege ich richtig, wenn ich weltliche Seelsorge sage, Alltagsbewältigung? Er rauchte die Cohiba an. Seine Hände zitterten nicht. Ich kam mir beschmutzt vor, unerträglich beschmutzt, und ich ließ ihn das spüren. Auch er war nervös, das wußte ich. Er konnte seine Nervosität nur besser tarnen. Wie regelst du das mit deinem Honorar? – Von Klienten deiner Einkommensklasse, abgesehen davon, daß es ein theoretisches Honorar wäre, da ich bis jetzt noch keinen habe, würde ich zweihundert Mark die Stunde bekommen. – Nicht gerade üppig. Was nimmst du dann von den anderen? Die Geschäftstüchtigkeit hast du nicht von mir geerbt. Freilich, dann müßtest du wohl doch woanders – wie nennst du das? Ordinieren? Ein Konsultant in unserer Branche kommt nicht für unter fünfhundert Mark pro Stunde. Plus Spesen. – Also? Was willst du? – Wie gesagt. Da du philosophische Alltagsberatung betreibst, kannst du mir gewiß erklären, was du einem Vater raten würdest, dessen Sohn mit seinen dreißig Jahren nichts vorzuweisen hat, der arbeitslos ist oder es bis vor kurzem war, keinem vernünftigen Beruf nachgeht, sondern in einer dubiosen Praxis, lächerlich,schon dieses Wort und was es suggeriert, ja glaubt dieser Sohn eigentlich, daß er ein Arzt sei, davon lebt, wobei das noch zu prüfen wäre, überkandidelten Weibsbildern und esoterisch angehauchten Wohlstandstanten ihre Probleme kleinzureden, die mit der Höhe des Kontos, das der Gatte verdienen dürfte, wachsen – und die sofort verschwänden, wenn sie, sagen wir: Wäsche waschen müßten im Akkord? Was würdest du diesem Vater raten, daß er tun soll mit seinem Sohn, den er gehegt und gut erzogen hat, auf Privatschulen geschickt und dessen große Gaben er nach Kräften gefördert hat? Und der diese Gaben verschleudert in einem Beruf, für den er nicht gemacht ist? Laß stecken, Freundchen. Laß stecken, deinen Revoluzzerkram. Und hör auf, so zu tun, als stündest du in deiner, sei’s drum, Praxis außerhalb der Gezeiten. Du sitzt auch im Boot
    [ KARL S. ] Herr Ritter ist mir schon als Student bei Professor Hertwig aufgefallen, schon mit seiner ersten Seminararbeit. Wissen Sie, man merkt das sehr schnell, ob jemand begabt ist oder nicht. Seien wir ehrlich: Für die meisten ist die Philosophie eine Art Parkstudium, ähnlich wie Germanistik oder Anglistik. Sie studieren Philosophie, weil sie nicht wissen, was sie sonst studieren sollen. Bei Herrn Ritter war das anders. Er kam zu uns und hatte die gesamte Grundlagenliteratur durchgearbeitet. Das also, was das Studium, zumindest im Prinzip, vermitteln soll, hatte Herr Ritter bereits hinter sich. Ich unterhielt mich mit ihm, wollte ihn ein wenig prüfen und auch, ich gebe es zu, ein
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