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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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kennst du Walcott, Ashbery, Pound, that’s lyric, das sind Kap-Hoorn-Fahrer, die sich ins Dunkle wagen, angetreten, dem Teufel ein Ohr abzusegeln, die ins Niebetretene, Ungesicherte fahren, die Welt in den Griff ihrer Sprache zu bringen versuchen, keine deiner netten Binnenschiffer, Bachpaddler und Rohrkrepierer, angepaßtes, aber ironisches Mittelmaß, Parlando, entsaftet in fünfter Auslutschung, erschütternd nie, durchdacht immer, kaum geboren und schon tot, ich kann es nicht ausstehen, und dein Heine, säuselt von Liebe und zieht am Schluß alles durch den Kakao, nichts ist ihm heilig, ja, du Blödmann, heilig, will aber eigentlich doch geliebt werden, drückt sich vor dem bloßen, blanken Gefühl, zu kopfig,unfähig zur Empfindung, wie alle diese superintellektuellen, in Dekonstruktivismus-Seminaren eisgekühlten Kaltschnauzen, die heute den Ton angeben und alles ironisch gebrochen sehen wollen, ohne Pathos vor allem, sie hassen Pathos, weil sie es fürchten, sie hassen Pathos, weil sie die Gefühle dahinter fürchten, ihre Brennkraft, die sie außerstande sind zu ertragen, sie hassen Pathos, weil sie glauben, daß alle Pathetiker Faschisten sind, mindestens aber werden, Idioten, alles muß gebrochen sein, ironisch gebrochen sein, dabei: Wo wären sie, wenn die Liebe im entscheidenden Moment ironisch gebrochen werden würde, Koitus interruptus, mein lieber Patrick, dennoch konnte ich lachen, sogar, auch wenn du es nicht glaubst, über mich selbst, manchmal überrumpelte sie mich einfach, die Selbstironie, das war das Schlimmste, denn es war wie Besiegtwerden, du und deine Prinzipien, sagtest du immer, ja, ich und meine Prinzipien, habt ihr wohl nicht in eurer Fernsehwelt, ist euch wohl unbekannt, was; das war das Zweitschlimmste: die Prinzipien zu verraten, Prinzipien sind Prinzipien, wozu hat man sie sonst, – Und was machst du, Wiggo, wenn dir die ultimativ knackige Superfrau begegnet, Frau deiner Träume und deines Schniedelwutzes, oder hast du keinen, mit der du einfach nur sofort ins Bett willst, auch wenn sie auf deine Prinzipien pfeift und dich nur groß anschaut, wenn du eine Hymne aus der Hanfszene auflegst oder ihr deine Pläne zur Welterrettung entwickelst, anstatt ihr endlich die geile Krokoledertasche zu kaufen oder mit ihr in einen der schmalzigen, ganz und gar prinzipienlosen Hollywoodschinken zu gehen, wo zum Schluß der Taschentuchverkäufer durchgeht, und auf die dieses Wesen mit den makroskopischen Brüsten und dem mikroskopischen Welterlösungswillen leider steht, was machst du, Wiggo, beißt du die Zähne zusammen in heldischem Verzicht, holst dir einen runter für die Revolution, hackst eineExtrafuhre Holz zur Triebabfuhr oder schleifst die blaue heilige Klinge, das Schwert deines Propheten, mit dem du den Knoten des Übels durchschlagen wirst?
    – neue Kassette, neues Diktiergerät. Sprechprobe. Eins, zwei, drei. Und was man des Humbugs mehr sagt, wenn man wissen will, ob ein Mikrophon funktioniert oder dieses Dings hier, das Diktaphon. Merkwürdig, seine eigene Stimme von außen zu hören, ungewohnt, unvertraut, sogar schockierend; sie klingt für andere Menschen nicht so wie für mich. Meine Stimme könnte die eines Schlächters sein, so rauh klingt sie, auch höre ich immer einen Unterton von Roheit, Verachtung, ja Fühllosigkeit heraus, etwas kurz Angebundenes; gewissermaßen wie die Geste, die Stammtischlers flache Hand vollführt, wenn er Schwachsinn! oder Kanaken! oder Alles korrupte Schweine, die da oben! grunzt; ich empfinde sie als unangenehm, meine Stimme, und wenn sie versucht, sich etwas Einschmeichelndes, Herzwarmes beizumischen, wird sie für mich am unangenehmsten. Man hat es eben nicht leicht. Nicht, daß Sie all das wirklich interessieren könnte, Herr Verteidiger; es ist, wie gesagt, eine Sprechprobe, ich wollte wissen, ob das neue Diktiergerät, das Sie mir gegeben haben, nachdem ich das alte auf den Fußboden, Sie wissen schon, waren wir gerade bei meinen Lyrik-Vorlieben beziehungsweise -Abneigungen? beim Pathos? ob es also funktioniert und für das taugt, was wir vereinbart haben, ein gutes Gerät übrigens, wahrscheinlich sogar ein Spitzenerzeugnis, wie alles, was mein Vater heraussucht, von Wühltischmentalität hat er noch nie etwas gehalten; oder irre ich mich da, hat er es gar nicht besorgen lassen von einem seiner Trainees oder Assistenten; ist es Ihr eigenes, und können Sie es von der Steuer absetzen, falls ich noch einmal auf Vorlieben und Abneigungen zu
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