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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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Spannung gewann, kleine Stromstöße in den Kußmustern entlud, wilder, hitziger, bis wir schweißbedeckt nebeneinanderlagen und nur die Glutpunkte unserer Zigaretten unregelmäßig aufleuchteten, ich war verrückt nach ihr und dachte: Ich bin kein Verlierer, ich werde es euch zeigen, dir und Vater und mir
    – was, Sie haben keine E-Mail-Adresse, schrie mich die Trainerin des Ego-Aufbau-Crashkurses für junge Fach- und Führungskräfte an, den das Arbeitsamt bezahlte, sagen Sie mal, leben Sie denn vor der Sintflut! Und da wundern Sie sich, daß Sie nichts finden, wie soll man Sie denn überhaupt erreichen, und jetzt machen wir alle mal eine SWOT-Analyse, also Strengths – linke Spalte. Weaknesses – rechte Spalte. Opportunities – linke Spalte. Threats – rechte Spalte, alles klar, hier haben Sie ein Blatt Papier, los geht’s; ich starrte auf das Weiß vor mir und schrieb nach einer Weile völliger Leere den einen Satz darauf, der sich schließlich aus der Leere löste: Ich hätte nie gedacht, daß ich mit meiner Qualifikation und meinen Leistungen im Studium arbeitslos werden würde, – Und jetzt stellen Sie sich vor diese Wand, kommandierte die Trainerin, und schreien, so laut Sie können: Ich will es packen, ich werde es packen, dreimal, keine Angst, wir sind hier schallisoliert, – Kann ich nicht lieber schaffen schreien, fragte einer der Teilnehmer, packen klingt so nach Tom Cruise in Die Firma, – Ebendrum, ereiferte sich die Trainerin, das ist Ihr Problem, Sie sind zu gefühlsgedeckelt! Sie nehmen zu viele Rücksichten, Pathos ist Ihnen zu peinlich; aber glauben Sie ernsthaft, Ihr Ego kommt wieder hoch ohne Pathos? Ego ohne Pathos ist so wabblig wie Couchkartoffeln, anämisch wie Veganer. Sie müssen Raubtiere sein, Karnivoren, verstehen Sie, blutrünstige Fleischfresser, mit undegenerierten, dschungelheißen Konquistadorengenen, los, brüllen Sie, ich will Fangzähne sehen!
    – ah, das ist also Ines’ neuer Gespiele – schon das Wort, mit dem mich der hochgewachsene, sichtlich trainierte Mittdreißiger titulierte, ließ mich zusammenzucken und den Kerl vom ersten Moment an hassen, die blondierte Frisur, das segelyachtgebräunte Gesicht, das ganze Getue, Handyaufklappen alle Augenblicke, ungeniertes Drauflosprotzen in den Apparat hinein vor möglichst vielen Zuhörern, die Angebereien: Kannst meinen SEL haben, Ines, aber Vorsicht beim Rückwärtsfahren, Einparkhilfe nicht vergessen, genau, die zwei Schneckenhörner, Vorsicht, Darling, nix ruinieren, brauch ich noch, you know, mein Bugatti ist in der Werkstatt –; neuer Gespiele : Dann warf er einen schnellen, taxierenden Blick auf mich, verengte die Augen, fragte: Zu welcher Fraktion gehörst du, ziehst du aus, um das Fürchten zu lernen oder um es zu verlernen? – Ich wüßte nicht, was Sie das angeht. Der Kerl warf sein Schlüsselbund hoch und fing es mit einer zuschnappenden, entschlossenen Bewegung: Weil du, im Fall du zur zweiten Fraktion gehörst, nicht sehr alt werden wirst mit ihr, – Woher wollen Sie das wissen, sparen Sie sich Ihre Weisheiten, sagte ich, – Ich bin ihr Ex, sagte er und stieß ein kurzes, verächtliches Lachen aus, das nicht genau erkennen ließ, ob es den Sachverhalt meinte oder meine Schuhe, die sein Blick flüchtig gestreift hatte, oder überhaupt den, der in diesen Schuhen steckte. Genauer, sagte er gedehnt, einer ihrer Ex, und wenn ich dich um etwas bitten dürfte: Solltest du morgens, wenn du hier bist, das Bedürfnis verspüren, dich rasieren zu wollen, bitte nicht den Philishave im Kosmetikschränkchen nehmen, das ist meiner
    – du hast mir noch immer nicht geantwortet, Ines, also? Normales Leben, was verstehst du darunter? Ich wartete und fühlte, daß sie mich beobachtete, vielleicht mögliche Reaktionen auf mögliche Antworten abschätzte, – Ich glaube, dumißverstehst deinen Vater, siehst ihn zu einseitig; die Kräne rührten im Abendhimmel herum, Windböen bauschten die Gerüstplanen auf der Baustelle des Bundeskanzleramts, die Spree hatte die Oberfläche einer Feile, Ines’ Stimme bekam jetzt etwas Geschäftsmäßiges, um Ausgleich oder Ablenkung Bemühtes: Er ist einer der besten Investmentbanker, die ich kenne, und natürlich kannst du jetzt mit einem dieser billigen Geldraffer-Vorurteile kommen – ich hatte sie ihr gegenüber nie geäußert, wußte nicht, wie sie darauf kam, war überrascht über den Ton, in dem sie mit mir sprach –, diesen Quark, den altlinke Atomkraftgegner in der taz
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