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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman
Autoren: Uwe Tellkamp
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mehr als daß er sie bat, ich vermute, daß das Gespräch ihr eher amüsant vorkam als peinlich und unangenehm; sie hob die Brauen, betrachtete die Fingernägel, versteckte ein Lachen in ihren Augen. Ich achtete weniger auf Vater als auf sie, manchmal warf sie mir einen forschenden Blick zu, manchmal einen belustigten, sie schlug die Beine übereinander, Manolo Blahnik- Schuhe , knielanger Rock, die Fußspitzen wippten im Takt zu meinen Antworten und Vaters Fragen: Wann gedenkst du mir den ersten Enkel zu bringen? Was sagen Sie dazu, Frau ’t Hooft, ist diese Frage nicht berechtigt einem Sohn gegenüber, der bald Dreißig ist? – Das ist die Frage, die mir mein Vater auch immer stellt, wenn ich zuhause bin, da bin ich befangen, viel mehr kann ich dazu nicht sagen, hörte ich Ines’ klare Stimme, mein Blick traf ihren, der perplex war über die Direktheit meines Vaters. Er behandelte uns schon als etwas, das Gemeinsamkeiten hatte, arrangierte das Treffen und seine Fragen so, daß wir mit Gemeinsamkeiten hinausgehen würden; Ines war nicht mehr nur seine Kollegin und Assistentin und ich nicht mehr nur sein Sohn, er behandelte uns als ein Ihr, behandelte uns wie das Paar, das wir bald darauf erst wurden. Ines’ Schuhe wippten, sie sah mich an, die Ironie kehrte in ihre Augen zurück, die Nasenflügelvibrierten leicht, sie sah beiseite. Vater wandte sich wieder an mich: Oder verschweigst du mir etwas, willst du mir etwas sagen, wie heißt der Unsinn: dich outen? – Ich glaube nicht, daß es mit der geschlechtlichen Veranlagung zu tun hat, ob man allein ist oder nicht, und auch wenn ich schwul wäre, Vater, und das ist es ja wohl, was du wissen willst, – Also bist du es nicht, stellte Vater mit sarkastischem und zugleich erleichtertem Unterton in der Stimme fest, schaute mich mißtrauisch an, – Nein, sagte ich, nicht, daß ich wüßte. Vater streifte Asche ab von seiner Cohiba und ließ Rauch an das abendlich dunkle Panoramafenster des Büros gleiten. Hören Sie, Frau ’t Hooft, mein Sohn ist gottseidank wenigstens nicht schwul, – Wenn du gestattest, werde ich jetzt gehen, ich glaube nicht, daß wir unsere Unterhaltung im richtigen Rahmen führen, sagte ich. Es klopfte. Herr Direktor, die Delegation aus dem Wirtschaftsministerium, meldete die Chefsekretärin. Wenigstens das, murmelte Vater, ohne sich darum zu kümmern, daß die Chefsekretärin irritierte Blicke zwischen ihm, Ines und mir hin- und herwarf, griff in die Innentasche seines Jacketts, zog den Schreibtisch-Organizer heran und strich darin etwas durch. Wenigstens das: nicht schwul
    – willst du kein normales Leben führen, hatten ihre Lippen zu mir gesagt, im gedimmten Lichtdesignerlicht eines Hundertsechzig-Quadratmeter-Lofts, dessen bis zum Parkett reichende Atelierfenster einen Blick auf den Spreebogen und die Baustelle des Bundeskanzleramts boten; die mit Scheinwerfern wie mit grünen Saugnäpfen bestückten, in unablässiger, zeichnender Bewegung befindlichen Kranarme blendeten sich in das Norwegerkirchenskelett der mit Klarlack bestrichenen Stützbalken im Raum, Orchideenkörbe verloren sich in der Höhe, ich stand vor der Fensterfront, die wie eine gläserne Kommandobrücke vorkragte, sie spiegelte die Backsteinwandhinter Ines’ Fußbodenbett, den riesigen Baselitz, einen kopfstehenden Gekreuzigten mit Eselsphallus, ich dachte: Wenn unser aller Kanzler mal abends Sorgen hat, kann er drüben in seiner Waschmaschine ein Fernrohr zücken, von der Kunst hinab zur Natur schwenken und angesichts der nackten Ines – sie liebte es, nackt durch ihr Loft zu spazieren, mich machte es rasend eifersüchtig – endlich mal wieder eine Aufwärtsbewegung registrieren, – Was verstehst du unter normalem Leben? fragte ich
    – Lippen, die sich langsam öffneten, als wir uns das erste Mal liebten, zu lieben versuchten: Wenn ich du wäre, ich würde die Situation ausnutzen, sagte Ines, wir waren allein im Kopierraum, der zur Direktionsetage gehörte, Vater hatte ein Geschäftsessen mit amerikanischen Wirtschaftsbossen, dann ein Geräusch, dessen Herkunft das Blut eher einordnet als das Ohr, sie schloß die Tür ab, ich küßte ihre Lippen und die kaum unterdrückte Lachlust darauf, Klimpern einer Gürtelschnalle, Reißverschlußreißen, ihre Nasenflügel bebend vor Heiterkeit, als ich Ines zum Kopierer drängte und sie darauf hob, meine Hände, die ich abzustützen versuchte, rutschten auf der glatten Oberfläche, der rechte Daumen landete auf dem grünen
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