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Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Titel: Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Autoren: Kjell Ola Dahl
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OSLO, DONNERSTAG, 10. DEZEMBER
1
    Nina bahnt sich ihren Weg gegen den Strom von Menschen, der sich von der T-Bahnstation Egertorget die Treppen hinauf schiebt. Sie geht die Karl-Johan entlang, wo die Wärmekabel unter dem Pflaster den Boden schneefrei halten. Dann beschleunigt sie ihre Schritte. Die Ampel springt auf Rot, aber Nina bleibt nicht stehen. Sie wirft einen Blick über ihre Schulter und läuft weiter. Die Abgase, die über den schwarzen Asphalt wabern, reflektieren das Scheinwerferlicht der Autos im morgendlichen Berufsverkehr und kriechen an den Karosserien entlang. Plastikweihnachtsmänner in Wollpullovern und Filzhosen stehen lachend hinter Schaufensterscheiben. Schaufensterpuppen lächeln ihr gefrorenes Lächeln und winken mit steifen Armen. Nina hastet vorbei, ein Schatten, der über die Scheibe huscht.
    Sie läuft die Treppe zur T-Bahnstation Jernbanetorget hinunter. Ein Zug fährt donnernd ein und hält. Die Türen werden geöffnet. Menschen strömen auf den Bahnsteig.
    Nina zögert. Wartet. Sieht sich um. Die Türen schließen sich wieder. Im letzten Moment springt sie hinein. Im Wagen hinter ihr tut ein Mann das Gleiche.
    Der Zug fährt an. Drinnen ist es wärmer, aber Nina friert. Der T-Bahnzug ruckelt und schwankt in den Kurven. Die Passagiere klammern sich an den Stangen fest, die vom Boden bis zur Decke reichen. Nina sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Sie lässt ihren Blick über die Passagiere wandern, die dichtgedrängt sitzen oder stehen, manche den Blick auf den Boden gerichtet, andere vertieft in eine Zeitung oder ein Buch. Ninas Blick wandert weiter und begegnet dem Blick ihres Verfolgers.
    Er sitzt ganz hinten im Wagen und hebt die Hand zu einem Gruß.
    Mit einem Ruck steht sie auf. Stolpert in den vorderen Wagenteil. Die Menschen stehen dicht gedrängt, und Nina versteckt sich hinter ihren Rücken, während sie sich einen Weg zur Tür bahnt. Der Zug hält in Grønland.
    Die Türen werden geöffnet.
    Nina wartet. Kurz bevor sie sich wieder schließen, springt sie raus.
    Der Zug fährt weiter.
    Nina steht auf dem Bahnsteig. Steht ganz still, als hätte sie Angst, sich umzuschauen, Angst, dass ihr schnelles Manöver ihr doch wieder nichts gebracht hat. Endlich dreht sie sich um. Ihr Verfolger steht einige Meter hinter ihr.
    Ein paar lange, stumme Sekunden sehen sie sich in die Augen. Nina will etwas sagen. Die Worte ertrinken im Lärm eines neuen Zuges, der am Bahnsteig bremst und hält. Der Mann sieht Ninas Angst.
    Die Türen öffnen sich, Menschen strömen heraus, und einige wenige steigen ein.
    Die beiden stehen immer noch ganz still da. Nur Ninas Blick flackert.
    Schon werden die Türen wieder geschlossen.
    Nina springt in den Zug.
    Mysteriöserweise gelingt dem Verfolger das Gleiche, als die Türen schon zuschlagen.
    Der Zug fährt an. Nina geht im Wagen ganz nach vorn, schubst Menschen zur Seite. Muss stehen bleiben, weil sie nicht weiter kommt. Langsam dreht sie sich um und begegnet dem Blick des Verfolgers. So steht sie noch, als der Zug indie nächste Station einfährt. Die Türen werden geöffnet. Nina wartet. Die Türen schließen sich wieder.
    Wieder springt sie in letzter Sekunde nach draußen. Sie geht langsam und schaut dabei gehetzt in alle Richtungen. Als der Zug weiterfährt, dreht sie sich um. Sieht nur andere Passagiere, nicht den Verfolger. Nach und nach leert sich der Bahnsteig.
    Da erst bemerkt sie es: Sie ist an ihm vorbeigegangen. Dann setzt sich der Mann in Bewegung. Kommt auf sie zu.
    Nina geht rückwärts den Bahnsteig entlang. Jetzt sind sie allein. Nina steht an die Wand gepresst. Doch die Wand hat eine Öffnung.
    Sie wirft sich herum, springt auf die Schienen und rennt in den Tunnel hinein. Bald ist sie im Dunkel verschwunden.
2
    Am unteren Rand des Himmels zog sich ein purpurfarbener Streifen den Horizont entlang: eine rote Kerbe in einer Palette von Grautönen. Über dem Hafenbecken hing Eisnebel. Minus 24 Grad. In wenigen Tagen würde der Hafen zufrieren.
    Lena bremste vor der roten Ampel am Kontraktskjæret. Schon der Gedanke an 24 Minusgrade ließ sie erschauern.
    »Was hast du denn hier rumliegen?«, fragte Emil Yttergjerde und hielt ihr eine ungeöffnete Packung OB hin. Er hatte sich auf dem Beifahrersitz nach vorne gebeugt und suchte im Handschuhfach nach einer CD.
    »Da findest du sie nicht«, sagte sie. »Sie steckt garantiert in einem anderen Cover. Wenn ich Auto fahre, schaffe ich es nicht, Ordnung in meinen CDs zu halten.«
    »In einem
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