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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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ontologica, der Tod des Seienden. »Was bedeutet der Name?«, fragt Donna ihren Kollegen Mike, den als Spitzel in die Neue-Pfad-Klinik eingeschleusten FBI-Mann, als sie sich in einem McDonald’s zum Gespräch über Fred alias Bob Arctor alias Bruce treffen. Seine Antwort: »Mors ontologica. Tod der Seele. Der Identität. Des innersten Wesens.«
    Die Verwandlung von Fred in einen Androiden ist der rote Faden, der sich durch den Roman zieht. »Was ist das eigentlich: Identität?«, fragt sich Fred schon sehr früh, kurz nach dem ersten Rapport bei Hank. »Wo endet die Vorstellung, die man gibt, die Rolle, die man spielt? Das weiß niemand.«
    Unklar bleibt, wer er wirklich ist: Der Undercover-Agent Fred, der sich als Bob Arctor ausgibt, um die Drogenszene zu infiltrieren? Oder ist er Bob Arctor, der sich unter dem Decknamen Fred als Polizeispitzel verdingt? »Arctor dachte: Wie viele Bob Arctors gibt es wohl? Ein abartiger, völlig verwirrender Gedanke.« Diese Frage mag anfänglich rhetorisch wirken, sie erhält aber spätestens dann, als Fred den Auftrag erhält, seine Aufmerksamkeit auf Bob Arctor zu fokussieren, eine existenzielle Bedeutung. Zwar weiß er noch, dass Fred und Bob Arctor identisch sind. »Aber wer bin ich? Welcher der beiden ist ich?« Unabhängig von Bobs Drogenkonsum ist Freds Situation alles andere als gemütlich. Er sitzt in seinem Kabäuschen und wertet die Filmaufnahmen aus seinem Haus aus. Wie fühlt es sich eigentlich an, kommt man als Leser nicht umhin sich zu fragen, wenn man sich selber beobachtet? Einen ganzen Tag lang, 24 Stunden, rund um die Uhr? Wie sehr klaffen Selbstwahrnehmung und Realität auseinander? Auch wenn man keine Drogen konsumiert? Was erfährt man über sich selber, das man lieber nicht wüsste? Wie sieht man aus, wenn man schläft? Würde man sich selber erkennen? Würde man nicht vielmehr an sich selber zu zweifeln beginnen? – Vermutlich brauchte man keine Drogen, um ziemlich bald in Bredouille, beziehungsweise in eine Identitätskrise zu geraten.
    Immer wieder unternimmt Fred/Bob den Versuch, sich seiner Identität zu vergewissern und die Spaltung seiner Persönlichkeit zu bremsen. Indes, die Trennung der zwei Seelen, ach!, in seiner Brust ist nicht aufzuhalten, und nur wenige Seiten später »tat sich die andere Seite seines Kopfes auf und sprach zu ihm, ganz ruhig, wie ein zweites Ich, das ihm eine Botschaft übermittelte, wie man die ganze Sache viel einfacher handhaben konnte«. Und schließlich: »Ich begreife es, aber ich kann mir nicht selber helfen.«
    »Für Dick ist Leben gleichbedeutend mit Denken«, schreibt Warrick. »Wer nicht mehr denkt, existiert nicht mehr. Aus diesem Grund ist ›Der dunkle Schirm‹ der ultimative Roman über den Tod, da er den Tod des menschlichen Geistes schildert. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Körper überlebt, wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert. Realität existiert, weil der menschliche Geist sie schafft, und Substanz T hat die Macht, die geistigen Funktionen zu zerstören. Substanz T ist die Droge des Todes.« Der positiv verklärte Trip ins Nirwana mutiert zum Absturz ins Nichts. »›Ich bin wer?‹ Fred starrte auf den Jedermann-Anzug, der ihm gegenüber saß. ›Ich bin Bob Arctor?‹ Er konnte es nicht glauben. Es ergab keinen Sinn. Es passte mit nichts zusammen, was er getan oder gedacht hatte. Es war grotesk.«
     
    Donna sagte: »Ich glaube, es gibt nichts, was schrecklicher ist, als jemanden – ein lebendes Geschöpf – zu opfern, ohne dass dieses Geschöpf jemals erfährt, was mit ihm geschieht. Wenn er es nur wüsste! Wenn er es nur verstehen würde, sich freiwillig zur Verfügung stellen würde. Aber…« Sie hob resignierend die Hände. »Er weiß es nicht, hat es nie gewusst. Er hat sich nicht freiwillig…«
    - Der dunkle Schirm
     
    Im Gegensatz zu den meisten anderen Romanen gibt es in »Der dunkle Schirm« nicht die für Dick typischen Schlüsselmomente, diese spektakulären Scharniere des Plots, in welchen die Geschichte unvermittelt in eine andere Richtung oder auf eine neue Ebene kippt, ein Protagonist sein wahres Gesicht enthüllt oder sich der Autor mittels eines tollkühnen Deus ex Machina aus einer verfahrenen Situation rettet. »Der dunkle Schirm« ist ein – bis auf die überraschende Wende ganz am Schluss – linearer Roman, ein träger, aber unwiderstehlicher Sog tief in die Auflösung von Bewusstsein, Wahrnehmung und Realität. Es geschieht wenig, eigentlich fast nichts. Die
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