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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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bespritzt, und sie trug eine rote und eine schwarze Socke.
    »Miss Grace Raven!«, trällerte sie und zog die erste göttliche Tomatentarte aus dem Ofen. Es muss fünf Uhr morgens gewesen sein, doch mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die Küche war warm, und Mama lächelte breit. Als sie mich ins Bett gebracht hatte, war sie in einer düsteren, hitzigen Stimmung gewesen, sodass mich ihr Lächeln innehalten ließ. Ich wartete ab, ob es nicht wieder verschwand und alles nur ein Traum war. Sie huschte durch die Küche wie eine Sommerfliege, lachte und redete. Ich folgte ihr mit den Augen, ohne die nackten Füße auf dem Boden zu bewegen.
    »Deine Mama hat zum Frühstück eine Tomatentarte gemacht. Eine Tarte für den König und die Königin dieses Hauses. Das sind wir, mein liebes Kind. Du und ich!«
    Ihr Lächeln war eine Spur zu fröhlich, doch ich sah trotzdem aufmerksam zu, als sie mir zeigte, wie sie den Blätterteig eingekerbt und mit Öl bestrichen hatte. Sie ließ mich an dem Thymian riechen, den sie zwischen Fingern und Daumen zerrieb, und sagte mir, dass Knoblauch gut war, um Erkältungen vorzubeugen. Sie hielt mir Vorträge über das Kochen und sang und lachte und backte, bis das Licht durch die Fenster drang. Dann setzten wir uns und aßen die heiße Tarte ohne Messer und Gabel. Sie küsste mich auf die Wangen und roch nach Knoblauch. Ich erinnere mich an den heißen Käse, der auf Mamas Pullover tropfte und auf der Wolle zu einem gummiartigen Streifen trocknete.
    Ich hielt die Schachtel mit den Tomaten den ganzen Weg zurück zu Dans Haus in der Hand. Ich dachte an Mama, während ich die Tomaten vorbereitete und rohen Knoblauch zerdrückte und die beißenden Säfte auf der Haut um meine heruntergebissenen Nägel brannten. Ich war am Verhungern, als alles im Ofen war, und muss ziemlich fürchterlich ausgesehen haben – die Haare waren total zerzaust, die Mascara vom Vorabend war in den Augenwinkeln zusammengelaufen, und auf dem alten T-Shirt, das an mir herunterhing, befanden sich hässliche Spritzer vom Innenleben der Tomaten. Ich war wie trunken von dem Duft der Tarte, der aus dem Ofen aufstieg, und tief in meine Erinnerungen versunken, als aus dem Wohnzimmer ein nach Schlaf riechender Mann mit nacktem Oberkörper in die Küche kam. Schläfrig ging er zum Kühlschrank hinüber, doch meine Tomatenschachtel mit den paar verfaulten Exemplaren stand ihm im Weg. Er sah noch schlimmer aus als ich.
    »Was zum Teufel …«
    Dickes, lockiges, braunes Haar fiel ihm in die Augen, schiefe Zähne ragten aus seinem Unterkiefer. Doch die oberen Zähne waren schön. Schön und weiß und gleichmäßig. Ich nahm an, dass das Dans Mitbewohner war.
    »Sorry, ich nehme das sofort weg. Das sind nur Tomaten – ich mache eine Tarte«, entschuldigte ich mich. Sehr britisch. Ich wünschte, ich hätte meinen BH angezogen, obwohl er nach Rauch und Bier stank.
    »Du machst was?« Er drehte sich um, um mich richtig anzusehen. Sein Blick wanderte an mir herunter. Einen Augenblick verweilten seine Augen auf meinen Füßen.
    »Äh, eine Tarte. Eine Tomatentarte. Sorry, deshalb steht da die Schachtel …« Ich machte eine lahme Handbewegung.
    Er legte den Kopf schief und lachte.
    »Ach du heilige Scheiße, was für ein vornehmer Akzent. Eine Tarte – das ist so was wie eine Pastete oder so, richtig?« Er ging zum Kühlschrank und zerrte einen Karton mit Orangensaft heraus. Er überprüfte das Haltbarkeitsdatum und runzelte die Stirn.
    »Äh, nein, eine Tarte ist etwas völlig anderes als eine Pastete.« Ich wusste, dass ich gouvernantenhaft klang. Trotzdem – mein Akzent ist nicht vornehm. Er ist schlicht und einfach britisch.
    Seine Brustwarzen spitzten aus kleinen Kreisen dunkler Haare hervor – den einzigen Haaren auf seiner Brust. Hätte er sich verdammt noch mal nicht etwas anziehen können? Er lachte mich mit diesen Zähnen an, und ich wusste, dass er mich nur aufgezogen hatte. Ich hatte vergessen, dass australische Männer Weltmeister darin waren, andere Leute hochzunehmen. Wahrscheinlich hatte er schon in der Grundschule die Mädchen an den Zöpfen gezogen.
    »Okay«, sagte er etwas freundlicher. Er lehnte sich gegen die Kühlschranktür und trank direkt aus dem Karton. Saft klebte an seiner Oberlippe. Er leckte ihn ab, dann drehte er sich zum Ofen um.
    »Das riecht gut.«
    »Danke.«
    Ich sah, wie er das Chaos betrachtete, das ich angerichtet hatte. Roter Tomatensaft war über Spülbecken und Messer und mehr als ein
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