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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus
Autoren: Julie Leuze
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Kontinent als Bäuerin zu arbeiten.
    Statt Pflanzen anzubauen, zeichne ich sie lieber, dachte sie und ging langsam über das Deck zurück. Dass ich dafür einmal in den australischen Busch gehen würde, hätte ich mir zwar niemals träumen lassen. Doch schlimmer als die Hölle zu Hause kann es dort wohl auch nicht sein.
    Sie strich sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. An daheim wollte sie jetzt nicht denken.
    Die brennende Sonne trieb Emma hinunter in ihre Kajüte. Je länger die Reise sich hinzog, desto weniger konnte sie ihren kurzen, einsamen Spaziergängen an Deck abgewinnen. Ihre Lust auf Neues, die ihre Eltern immer belächelt und so manches Mal getadelt hatten, wurde auf diesem Klipper kaum befriedigt. Seit Wochen bekam sie nichts zu sehen als das endlose Ultramarinblau des Ozeans. Kaum ein Mensch sprach mit ihr, und es gab keinerlei Abwechslung.
    Nun ja, fast keine, verbesserte sie sich, während sie die hölzernen Stufen hinabstieg. In den ersten Tagen hatte sie geglaubt, vor Übelkeit zu sterben, das immerhin hatte sie in Stuttgart nie erlebt. Mehrmals hatte das Schiff bei Stürmen so geschwankt, dass sie vom Stuhl gerutscht war; auch das kam auf dem Festland eher selten vor. Und dann das Klima! Diese subtropische Hitze war ärger als alles, was die Hundstage daheim einem antun konnten. Wenn das keine Abwechslung war … Sie lächelte schief.
    Nun, es war ja bald vorbei. Wenn nur endlich ein ordentlicher Wind aufkäme! Die anhaltende Flaute machte Passagiere wie Matrosen reizbar, weil sie seit Tagen dafür sorgte, dass die Helene nicht vom Fleck kam. Dabei war Australien – das hatte der Kapitän ihr gestern anvertraut – zum Greifen nah.
    Ihr neues Leben – zum Greifen nah. Trotz der Hitze lief ihr ein Schauer über den Rücken; ob vor Aufregung oder Furcht, das wusste sie nicht zu sagen.
    Emma ging in ihre Kajüte, setzte sich an den kleinen Waschtisch und holte tief Luft. Sie spritzte sich lauwarmes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel.
    »Bin das wirklich ich?«, murmelte sie mit leiser Verwunderung. Eine ernste Frau mit salzgegerbter brauner Haut und ausgebleichtem Haar sah ihr aus blauen Augen nachdenklich entgegen.
    Sie dachte daran, wer sie in Württemberg gewesen war, noch im zeitigen Februar, vor den drei schwarzen Tagen: Emma Röslin, einundzwanzig Jahre alt, Apothekertochter aus Stuttgart, frei von materiellen Sorgen, hübsch und immer gut gekleidet.
    Und jetzt?
    Jetzt war sie Emma Röslin, zweiundzwanzig Jahre alt, die ihren Geburtstag mutterseelenallein auf hoher See gefeiert hatte. Sie, die Tochter aus gutem Hause, würde sich für ein paar Pfund als Assistentin eines deutschen Botanikers in Australien verdingen; sie war nun eine in sich gekehrte Frau, die gezwungen war, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen.
    Sie hatte sich sehr verändert. Nicht einmal, dass sie jemals so etwas wie Modebewusstsein besessen hatte, sah man ihr noch an: Ihre Krinoline trug sie schon längst nicht mehr, und an besonders heißen Tagen spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, ihr scheußlich enges Korsett über Bord zu werfen. Seit die subtropische Sonne Tag für Tag auf das Schiff niederbrannte, verzichtete Emma sogar auf die züchtigen Unterärmel ihrer Kleider. Die Strafe für all das waren braune Arme und eine formlose Silhouette, sodass Emma sich, wie sie fand, kaum mehr von den armen Auswandererfrauen unterschied.
    Doch was machte das schon? Alle Kajüten außer ihrer standen leer, im Salon hielt nur sie sich auf, und auch das Hinterdeck war ihr allein vorbehalten. Sah man von Kapitän Karnshagen und seiner Gattin ab, so war schlicht niemand da, vor dem sie sich blamieren konnte. Folglich, fand Emma, konnte sie sich anziehen, wie es ihr gefiel.
    »Viel bedenklicher als mein Aussehen ist doch die Tatsache, dass ich neuerdings Selbstgespräche führe. Ich werde schon langsam wunderlich«, sagte sie vorwurfsvoll zu der neuen Emma im Spiegel. Es wurde wirklich Zeit, dass die Monate auf See ein Ende fanden! Wenn sie erst in Australien war, würde sie endlich wieder eine Beschäftigung haben, unter Menschen sein und abgelenkt werden. Vielleicht würde sie sogar aufhören, Nacht für Nacht von zu Hause zu träumen.
    Energisch stand sie auf, um aus der Kiste neben ihrer Schlafstatt Papier und Bleistift zu holen. Sie würde zeichnen. Ja, sie musste einfach etwas tun, statt sich dem Müßiggang hinzugeben, dann würde es ihr sofort besser gehen. Hatte ihr das Studium der
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