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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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riechen. Diese Duftgefäße taumelten und drehten sich, als hätte man sie aus großer Höhe fallen gelassen – groß, klein und winzig, durchsichtig, golden, rosa, grün, blau und schwarz. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, indem er die Augen schloss, dann riss er sie mit Gewalt auf, stand auf und schaltete das Licht ein. Kaum legte er sich wieder hin, begann das Ganze von vorne, mit Licht und ohne Licht. Das hüpfte und kippte und fiel und fiel und fiel, ohne je den Boden zu erreichen, wo sie gnädig zerbrochen wären und man sie fortgefegt hätte.
    Jetzt waren sie verschwunden, aber nicht die Erinnerung daran und auch nicht der Drang, den sie hinterlassen hatten. Der eine Duft und die Tatsache, dass er dessen Namen nicht kannte, erfüllte sein ganzes Denken. Doch ehe er diesem Verlangen nachgab, musste er sich eine Waffe besorgen. In der New Oxford Street gab es in der Nähe von St. Giles’s einen Laden, wo er vermutlich eine Kopie bekommen konnte. Am Marble Arch bestieg er einen Bus, der nach Osten fuhr. Nach einer langsamen Fahrt, die im dichten Verkehr sehr lange dauerte, stieg er an der Stelle aus, wo die Shaftesbury Avenue auf die New Oxford Street trifft. Der Laden, in dem Pistolenkopien zu haben waren, hatte sich direkt neben einem Geschäft für Schirme und Spazierstöcke befunden. Dort war er aber nicht mehr. Also müsste ein Spielzeug genügen.
    Ein Taxi fuhr ihn den ursprünglichen Weg zurück und setzte ihn draußen vor »Selfridges« ab. Obwohl er am liebsten sofort zu den Parfüms gegangen wäre, mied er sie und fuhr stattdessen mit dem Fahrstuhl in die Herrenabteilung hinauf. Unter dem Spielzeug im ersten Stock fand er eine für seine Zwecke brauchbare Pistole. Sie war silbrig und schwarz und aus Plastik, aber das würde drunten auf der Straße niemand merken. Er kaufte sie. Sollte er eine Geisel nehmen, oder nicht? Wäre die Orientalin noch da gewesen, die früher im Laden gearbeitet hatte, hätte er nicht gezögert. Er musste jemanden als Geisel nehmen, damit sein Plan, Selbstmord zu begehen, auch wirklich funktionierte. Nein, kein Selbstmord. Wenn er das gewollt hätte, hätte er sich von der Überführung stürzen können. Er wollte getötet werden, wollte von fremder Hand sterben.
    Wieder mit dem Aufzug nach unten. Diesmal steuerte er die Parfümabteilung an. Allerdings durfte es nicht lange dauern. Bald würden sie bei ihm sein, es sei denn, der Junge, dem er gestern Nacht begegnet war, wäre nicht zur Polizei gegangen. Würden sie erst anrufen und dann, wenn keiner abhob …? Sicher würden sie anrücken und ihn erwarten. Mit Herzklopfen und schweißnassen Händen betrat er die Parfümabteilung. Sofort attackierten die Düfte seine Nase. Mal süß oder herb, mal moschusartig und dann wieder fruchtig, aber alle harmlos für ihn, und das in einem Bereich, in dem ein Parfüm alles andere als harmlos war.
    Suchend blickte er sich nach dem Mädchen um, das ihn mit der tödlichen Essenz besprüht hatte.
    Nach landläufigen Begriffen war sie schön gewesen. Dunkel, schwarze Augen und ein orientalischer Einschlag. Die Sprayflasche war schwarz-golden gewesen.
    Er durfte sich nicht wieder von ihr damit ansprühen lassen, egal, was passierte, unter keinen Umständen. Vor diesem Duft hatte er mehr Angst als vor dem Sterben.

29
    Er erkannte sie wieder. Diesmal verführte sie keine Kunden mit Parfüm, sondern stand hinter einer Theke und unterhielt sich mit einem gleichaltrigen Mädchen, das grundverschieden von ihr aussah. Ziemlich vorsichtig ging er auf sie zu. Die Vielfalt der Waren in Ständern und Regalen verwirrte ihn. Wie kamen Frauen mit all dem zurecht? Warum taten sie das? Es schien mit unnötiger und letztlich sinnloser Arbeit verbunden zu sein. Unterschwellige Angst vertrieb die Gesellschaftskritik. Wusste die Polizei mittlerweile Bescheid? Dieser stets präsente Gedanke drang an die Oberfläche. In der letzten halben Stunde war er unter einer falschen und unnötigen Frage begraben gewesen, unter einem Hirngespinst, dessen Auflösung nichts zu seinem Wohlergehen, zu seinem Leben oder seinem Seelenfrieden beitragen würde. Dies alles war längst dahin. Er wollte lediglich vor seinem Tod den Namen des Parfüms wissen, das war alles.
    Während er sich seinen Weg durch die Etage gebahnt hatte, war die dunkle Schönheit verschwunden. Suchend blickte er sich um und hoffte, sie zu entdecken. Überall standen jede Menge Mädchen herum, einige so perfekt wie Models, und alle sahen gut aus.
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