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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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Narbe zurückbliebe.«
    »Das sollten Sie besser anschauen lassen«, sagte Zulueta, »das muss unbedingt medizinisch versorgt werden.«
    Crippen schüttelte noch immer den Kopf, vielleicht über die bösen Neigungen der Menschen im westlichen London. »Erzählen Sie mir noch mal, was passiert ist.«
    »Ich war auf dem Heimweg von der Station Marylebone. Ich hatte meine Tante in Aylesbury besucht.« Das hatte er zwar schon zusammen mit seinen Eltern am vergangenen Freitag getan, aber Tante Seema würde sich nie an den genauen Tag erinnern. Ihr hatten schon immer ein paar Kardamomkörner am Curry gefehlt. »Als ich die Ashmill Street von Lisson Grove heraufkam, war es annähernd Mitternacht.« Dagegen würden sie nichts einzuwenden haben, das war der kürzeste Weg.
    »Sie haben aber nicht viel Ähnlichkeit mit einem Mädchen«, stellte Zulueta fest, »oder ganz allgemein mit einer Frau.« Verblüfft musterte er Anwar, dessen knochigen Körperbau samt Trichterbrust und Stakselbeinen, den beginnenden Bartwuchs auf Kinn und Wangen und die große auffällige Nase.
    »Vielleicht konnte er nicht gut sehen«, sagte Anwar. »Es war dunkel, und er stand unter einem Baum. Ich habe durch die Grünanlage zur Broadley Street hinüber abgekürzt. Er ist mit diesem Elektrokabel auf mich los gegangen. Noch ehe ich etwas tun konnte, hatte ich es auch schon um den Hals.«
    »Was haben Sie gemacht?«
    »Ich bin doch kein Mädchen, oder? Selbstverständlich habe ich mich gewehrt.«
    »Und Sie behaupten, Sie hätten ihn erkannt?«
    »Sicher habe ich ihn erkannt«, sagte Anwar im Brustton tiefster Überzeugung. »Wie er heißt, weiß ich nicht, aber er wohnt in der Wohnung über meinem Freund Frederick Perfect.«
     
    Freddy war gut gelaunt: Er hatte in der Lotterie hundert Pfund gewonnen. Er winkte Jeremy vom Schaufenster aus zu und wurde absichtlich ignoriert, obwohl ihn der Mieter aus dem obersten Stockwerk eindeutig gesehen und ihm sogar in die Augen geschaut hatte.
    »Um diese Zeit kann er unmöglich zur Arbeit gehen«, sagte Freddy. »Er sieht nicht gut aus, als würde er etwas ausbrüten. Hoffentlich ist es nicht ansteckend. Wenn er ohne Mantel und Regenschirm ins Freie geht, wird alles noch schlimmer. Es soll bald schütten. Ich wüsste zu gerne, wohin er will. Vielleicht zum Arzt. Das wird es sein.«
    Keine dieser Bemerkungen schienen eine Antwort zu benötigen. Inez lächelte Freddy zerstreut an. Heute Morgen war er sehr spät heruntergekommen, getreu Zeinabs Vorbild, doch das bedauerte sie zum allerersten Mal nicht. Kaum hatte sie die Tür aufgesperrt und die Bücher auf den Gehsteig hinausgestellt, war der Käufer der Chelsea-Porzellanuhr hereingekommen. Er war herumgeschlendert und hatte sich scheinbar verschiedene Gegenstände näher angesehen, allerdings nichts so richtig, wie sie fand. Dann war er zu ihr gekommen und hatte sie gebeten, mit ihm essen zu gehen. Sie war so überrascht, dass sie sogleich sagte, das würde sie gerne tun. Als er fort war, wurde ihr bewusst, dass sie das sogar sehr gerne tun würde, Überraschung hin oder her.
    Natürlich war Jeremy nicht zum Arzt unterwegs; er wollte eine Pistole kaufen.
    Mit einer echten Handfeuerwaffe wüsste er nichts anzufangen. Eine Kopie würde auch genügen, sogar ein Spielzeug, solange es aus der Ferne wie eine Pistole oder ein Revolver aussah. Solange man sie nicht abfeuerte, wirkten Spielzeugpistolen auf Umstehende genauso erschreckend wie echte.
    Er hatte eine entsetzliche Nacht hinter sich. Erst um sieben Uhr früh war er endlich eingeschlafen. Wenn man ihn nach seinen Träumen gefragt hätte, hätte er stets behauptet, er würde nie träumen. Und wenn doch, würde er die Träume beim Aufwachen vergessen. Und das entsprach einigermaßen der Wahrheit. Was ihn aber quälte, waren merkwürdige nächtliche Visionen oder Fantasien, die im wachen Zustand immer und immer wieder auftauchten. Vor seinen Augen brachen sie auf und narrten ihn durch ihre eindeutige Sinnlosigkeit. Früher einmal hatte er das erste Mädchen gesehen, das er getötet hatte, frontal, im Profil, von unten, von oben, lachend und weinend. Und später, wie die Könige in Macbeth, die Prozession der unterschiedlichen Würgewerkzeuge: Seil, Draht, Kabel, Kordel, Saite, Band, Kette und Schnur. Das tanzte und rollte eine endlose Treppe herunter. Lange Zeit hatte ihn diese ganz besondere Plage nicht mehr heimgesucht, aber letzte Nacht sah er reihenweise Parfümflakons und Phiolen und Fläschchen, ohne etwas zu
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