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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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das Glasfenster in der Haustür hinausspähte.
    »Wirst du die Polente anläuten?«
    »Weiß nicht, aber – nein«, sagte Anwar, »denen habe ich genug geholfen, verdammt noch mal. Sollen die doch zur Abwechslung mal selbst was tun.«
    Keine Polizeifahrzeuge. Gar keine Autos. Seltsam für einen Vormittag mitten unter der Woche. Die Anwohnerparkplätze und die mit den Parkuhren in der Nähe des Ladens standen alle leer. Draußen vor dem Mietereingang zögerte Jeremy kurz und betrat dann das Haus durch den Laden. Ein Schrei von Inez oder irgendeine Schockreaktion hätten ihm viel verraten.
    Sie blickte aber lediglich von ihren Geschäftsbüchern auf und sagte nicht allzu freundlich: »Ach, hallo.«
    Von dem Trottel im braunen Overall ein Grinsen. »Ach, guten Morgen, Mr. Quick. Sie haben sich ja wirklich rar gemacht. Gab mal eine Zeit, da haben Sie ständig vorbeigeschaut, um die Chefin zu besuchen.«
    Das verdiente keine Antwort. Jeremy riss sich zusammen. »Hat zufällig jemand nach mir gefragt?«
    »Nicht dass ich wüsste«, sagte Inez. »Man würde aber doch sicher bei Ihnen klingeln, oder? Ach, ja, dieser Polizist hat angerufen – heißt er nicht Zulueta? – und wollte wissen, ob Sie zu Hause wären. Ich habe gesagt, ich hätte nicht die geringste Ahnung. Es klang nicht wichtig.«
    Wäre es auch nicht. Er bedankte sich, immer noch bescheiden, und begab sich durch die Hintertür nach oben. Das nächste Stockwerk dröhnte vor Rachmaninow. Er glaubte zu sehen, wie die Türen vibrierten. Drinnen in seiner Wohnung stand stumm das Telefon, und doch verriet ihm irgendetwas – vielleicht lag es auch nur an ihm selbst –, dass es geläutet hatte, immer und immer wieder. Vielleicht hätte er einen Anrufdienst beauftragen sollen, aber das schien nie notwendig gewesen zu sein. Außerdem, was würde es ihm jetzt nützen, wenn er Crippens Stimme vom Band hören könnte?
    Draußen auf dem Dachgarten war an seiner Kletterrose die erste Blüte im Jahr aufgegangen. Der Name war ihm entfallen. Sie hatte eine nichts sagende blassrosa Farbe, aber ihr Duft sei exquisit, hatte der Katalog versprochen, wie reife Orangen und Jasmin mit einem Hauch Muskat. Er näherte sein Gesicht der Blüte und steckte seine Nase tief hinein. Ja, der Duft war genau wie versprochen. Das wäre die letzte Rose, die er je riechen würde, die letzte Rose seines Sommers. Aber Telefon und Türklingel blieben stumm. Der einzige Laut kam drunten von der Musik, und auch er erreichte ihn nur abgeschwächt. Vielleicht hatte Zulueta lediglich von ihm wissen wollen, ob er letzte Nacht etwas gesehen hätte. Möglicherweise hatte sich der Junge im Bewusstsein, dass es sich um einen gefährlichen Mann handelte, den man nicht herausfordern sollte, gefürchtet, ihn zu identifizieren. Er hätte beispielsweise zu dem Schluss kommen können, dass sich Jeremy nach Belieben an dem Pärchen rächen könnte, das ihn verpfiffen hatte, wenn dieses nicht genug Beweismaterial gegen ihn liefern konnte. »Ich bin ein gefährlicher Mann«, sagte Jeremy laut und fuhr in der vermeintlichen Sprache des Jungen fort: »Mich verarscht niemand.« Aber die Stimme, mit der er das sagte, war schwach und klein. Seine wahren Gefühle kamen in einem leisen Murmeln zum Ausdruck: Ich hatte ein mieses Leben.
    Er ging wieder ins Wohnzimmer. Die Balkontüren ließ er offen, obwohl es kalt war und heftig regnete. Im Schlafzimmer entledigte er sich seiner nassen Hose und Jacke und zog stattdessen ungewohnte Kleidungsstücke an, einen Pulli und Jeans. Es war kurz nach Mittag. Zeit für einen kleinen Gin Tonic. Ein bisschen mehr Gin als sonst, ein Eiswürfel, eine Zitronenscheibe. Gerade als er mit einem scharfen Messer die Zitrone zerteilte, begann das Telefon zu läuten. Wenn seine Hände nicht schon beim ersten Ton erstarrt wären, sodass das Messer in der Luft hängen blieb, hätte er sich geschnitten.
    Abheben, ja oder nein? Wenn er nicht abhob, würden sie annehmen, er sei immer noch weg, und es erneut versuchen. Schließlich würden sie Inez anrufen, und sie würde es ihnen sagen. Es wäre klüger gewesen, wenn er nicht in den Laden gegangen wäre, doch dazu war es jetzt zu spät. Beim neunten Klingeln hob er den Hörer ab und sagte ein kräftiges »Hallo?«.
    Aufgelegt! Das sagte ihm alles. Jetzt würden sie kommen. Wenn sie sofort los führen, bräuchten sie nur Minuten, weniger als zehn. Also, entscheide dich jetzt, wie du die Sache angehst. Entscheide dich, entscheide dich … Inez befand
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