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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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selbst.«
    Während Will Milch in einen Becher goss, machte sie sich in einem Trinkglas einen großen Gin Tonic. Noch mehr Alkohol war das einzige Gegenmittel, egal, wie schlecht er ihr bekam. »Will, was ist los?«
    Sie bekam keine präzise Antwort. »Becky, ich bin gekommen, um zu bleiben. Ich wollte am Samstag nicht heimgehen. Schon da wollte ich bleiben. Das will ich doch immer, weil es hier nett ist.«
    »Ist es denn bei Inez nicht nett?«
    »Ja, aber nicht so wie hier.«
    »Will, was ist in dem Koffer?«
    »Alles, was ich brauche.«
    Er kniete sich hin und öffnete ihn. Irgendwo in den Tiefen musste auch noch Kleidung sein, aber sie sah lediglich einen Spielzeuglaster – spielte er tatsächlich noch damit? –, ein Lustiges Taschenbuch, die »Radio Times«, die Fernbedienung, als wäre ihre kaputt und er könnte seine hier benützen, einen Becher mit Krimskrams, eine rote Baseballkappe mit der weißen Aufschrift »Man United« und eine Videokassette von »Spot«.
    »Ich werde mein Zimmer selbst herrichten«, sagte er. »Ich werde das machen, was du gemacht hast. Ich werde alle Stühle ausräumen, bis auf einen, und den Computer woanders hinstellen und das Sofa zum Bett ausklappen und es beziehen.«
    »Und was wird aus der Arbeit, Will?«
    »Du könntest Keith anrufen und ihm sagen, mir geht’s nicht gut.« Das Pendant zur Krankmeldung in der Grundschule, dachte sie. »Du könntest sagen, dass es mir morgen wieder besser geht und er mich hier abholen soll.«
    Er klappte den Koffer zu und schleppte ihn ins Arbeitszimmer. Ihrem Kopf ging es allmählich besser, aber sie fühlte sich immer noch matt. Sie hörte, wie er Möbel verrückte und dazu den Chor der Zwerge aus »Schneewittchen« summte. Er sang nur, wenn er sehr glücklich war, das wusste sie von früher.
    Was hätte sie tun können? Wenn er morgen arbeiten ginge, könnte sie das vermutlich auch. Dann wäre er jeden Nachmittag ein paar Stunden allein, aber das wäre nicht allzu schlimm. Ihrem Liebhaber hatte sie den Laufpass gegeben, und einen neuen gäbe es nicht mehr. Immer würde der Fernseher laufen, morgens und abends, tagein, tagaus, jeden Tag. Sie würde keine Schuldgefühle mehr haben, all das wäre dann Vergangenheit. An deren Stelle würde eine Art Friedhofsruhe treten, eine leblose Stille, in der ein liebes eigensinniges Kind sie tyrannisieren würde und immer da wäre. Beim Fortgehen und beim Heimkommen, wenn sie jemanden kennen lernte und wenn sie Schluss machte, im Wachen und im Schlafen. Vielleicht würde mit dem Verschwinden der Schuldgefühle auch der Drang zum Trinken verschwinden. Vielleicht. Eines Tages.
    Es war unvermeidbar, dass er hier aufgetaucht war. Vielleicht hatte sie irgendwo in den Untiefen ihres pochenden Schädels schon immer gewusst, dass es so weit käme. Sie hatte den bösen Tag lediglich aufgeschoben. Aber liebe ich ihn denn? Der Satz hatte einen hohlen Nachklang. Liebte sie ihn wirklich? Liebte sie überhaupt jemanden auf der Welt?
    Becky breitete die Arme auf den Tisch, legte den Kopf auf die Arme und weinte. Wegen eines Autounfalls weinte sie, wegen eines schwachen Chromosoms, wegen einer hartherzigen Gesellschaft und – wegen sich selbst.
    Aus dem Arbeitszimmer drang Wills Gesang: »Heiho, heiho, wie sind wir alle froh …«
     
    »Sie hätten uns schon gestern Nacht informieren sollen, als es passiert ist«, sagte Detective Inspector Crippen, »statt bis jetzt zu warten.«
    »Ich dachte, Sie wären ganz aus dem Häuschen, wenn ich mit der besten Spur des Rottweilers zu Ihnen käme, die Sie je bekommen werden.« In Wirklichkeit war Anwar gar nicht so entrüstet, wie er tat. Ihm war es egal. Wenn die Polizei nichts unternahm, nachdem er ihnen den Beweis geliefert hatte, würde er sich an die Medien wenden. Mal sehen, was die aus einer gleichgültigen Justiz machen würden, der man den eindeutigen Beweis für einen Mordversuch durch Erwürgen präsentierte.
    »Lassen Sie uns mal Ihren Hals sehen.«
    Anwar trug unter seinem Anzug einen Rollkragenpullover, nicht um verlegen seinen Hals zu verstecken, sondern um die dramatische Wirkung beim Entblößen seiner Kehle zu steigern. Er zog den dunkelblauen Wollstoff herunter und reckte den Hals.
    Beide Polizisten, Crippen und Zulueta, reagierten beinahe so gut wie erhofft. »Da haben Sie aber eine üble Verletzung«, meinte Crippen, der vor dem kräftig bläulich roten Ring um Anwars olivfarbener Kehle leicht zurückzuckte. »Würde mich sehr überraschen, wenn davon keine
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