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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya
Autoren: Sarah Benedict
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dass er zurück in die Vereinigten Staaten gebracht wird. Er kommt also straflos davon.«
    »Er ist bestraft worden«, sagte Evelyn. Ray hatte sein Geld verloren – und das ist für einen Menschen wie ihn die schlimmste Strafe überhaupt. Er wird nie wieder der Alte sein.

    Und Ane, fügte sie in Gedanken hinzu, wohl auch nicht.
    Nach dem Schuss auf Kettner hatte einige Sekunden lang die Welt stillgestanden. Ane hielt die Pistole im Anschlag, starrte vor sich hin, und Evelyn verharrte bewegungslos hinter ihr. Ili und Ray lagen wie tot auf dem Küchenboden, Joacino räkelte sich und kam langsam wieder zu Bewusstsein. Während Evelyn sich um Ili kümmerte, wandte sich der junge Samoaner Ane zu, nahm ihr die Pistole aus der Hand, umarmte sie und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. Danach rief er, trotz seines angeschlagenen Zustandes, einen Arzt und die Polizei.
    Ili erwachte schnell wieder aus ihrer Bewusstlosigkeit, aber sie hatte Mühe zu sprechen und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Man legte sie ins Bett, und Evelyn verabreichte ihr täglich die verordneten Säfte und Umschläge.
    Natürlich leitete Leutnant Malu sofort eine Untersuchung ein. Tagelang befragte er Evelyn, Joacino und vor allem Ane. Diesmal dachte sich niemand eine Geschichte aus. Ane hatte im Affekt gehandelt, so jedenfalls beschrieben Evelyn und Joacino im Gericht übereinstimmend die Geschehnisse. Die Tatsache jedoch, dass Ane zuvor von Kettner getäuscht worden war und daher Grund für Rachegedanken hatte und dass außerdem ein Schuss ins Bein völlig ausgereicht hätte, um ihn außer Gefecht zu setzen, verhinderte einen Freispruch wegen Notwehr. Vergangene Woche war sie zu zwei Jahren Haft im Gefängnis von Upolu verurteilt worden.
    »Komisch«, hatte Ane gesagt, als Evelyn sie besucht hatte. »Ich sehe die zwei Jahre nicht als Strafe für den Schuss auf Ray. Für mich ist es die Strafe für etwas, für das ich nie bestraft worden bin: für das Feuer, und dafür, dass ich drauf und dran gewesen war, Ili umzubringen.«
    Evelyns Gedanken waren sogar noch weiter gegangen.
Natürlich empfand auch sie die Strafe für schwere Körperverletzung als ungerecht. Doch irgendwie kam es ihr vor, als müsse Ane für das büßen, was Ivana angerichtet hatte, ihre Großmutter, nämlich Tuila das halbe Land wegzunehmen. Erst dieser Diebstahl hatte all das möglich gemacht, was an Unglück über die Valaisis gekommen war, bis hin zu dem Versuch, dieser Fehde das ganze Land zu opfern.
    »Das ist glücklicherweise nun vorbei«, hatte Evelyn geantwortet. »Wenn Sie hier herauskommen, Ane, können Sie wieder von vorn anfangen. Ili wird Ihnen dabei nicht im Weg stehen, im Gegenteil. Sie wird Ihnen helfen.«
    »Sie ist so alt. Wer weiß, ob ich sie noch einmal … ob ich sie überhaupt …«
    »Ob Sie sie wiedersehen? Da kann ich Sie beruhigen. Sobald es ihr besser geht, wird keiner Ili davon abhalten können, Ihnen einen Besuch abzustatten. Das hat sie schon verkündet.«
    Ane hatte gelächelt und ihr Haar, das ein wenig von seinem seidigen Schimmer verloren hatte, zurückgestrichen. »Wirklich? Das hat sie gesagt?«
    »So wahr ich hier vor Ihnen sitze.«
    Evelyn hatte die Lider gesenkt und vorsichtig hinzugefügt: »Ili hat mir angeboten, in jenen Teil des Papaya-Palastes einzuziehen, den Moana und Sie bewohnt haben. Ich bin mir aber nicht sicher, was Sie davon halten, Ane.«
    »Natürlich ziehen Sie ein. Wie Sie schon sagten: Wenn ich hier herauskomme, fange ich neu an. Ich finde schon ein Plätzchen, wo ich bleiben kann.«
    Und so war Evelyn noch am Abend vor dem Fest offiziell in den Papaya-Palast eingezogen. Sie war durch die vielen Räume gestreift und hatte sich zugleich aufgehoben und allein gefühlt, ein Gefühl, das auch heute noch andauerte.
    Evelyns Blick fiel auf einen Punkt unten an der Bucht.
Obwohl nur die Umrisse einer Gestalt zu sehen waren, erkannte sie, um wen es sich handelte.
     
    Die Unruhe befiel Ili nicht plötzlich, sie schlich sich an. Es war, als ob tief in ihr eine Stimme rief, die sie nicht verstand.
    Es lag nicht an der Geburtstagsfeier. Evelyn hatte eine Party organisiert, auf der sich jeder wohlfühlte und jeder wohlgefühlt hätte, sogar Clara Hanssen und die Gouverneursgattin. Viele trugen Weiß und standen wie Marmorskulpturen verteilt im Garten, aber eine samoanische Band entlockte so manchem einen Hüftschwung, und ein paar Einheimische tanzten bereits. Ili wusste, dass noch vor Einbruch der Dunkelheit die letzten
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