Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya
Autoren: Sarah Benedict
Vom Netzwerk:
trat hinter sie. Seine Hände legten sich auf ihre Schultern.
    »Zum letzten Mal: Nehmen Sie den Stift! Ich kann auch anders. Die zittrige Unterschrift einer Greisin zu fälschen, fällt mir nicht schwer, das habe ich früher schon gemacht, wenn ich meinem versoffenen Miststück von Vater eine Schulnote vorenthalten wollte. Und Sie, Madam, werden nicht mehr die Gelegenheit haben, die Echtheit anzuzweifeln. Sie haben sich erhängt, so einfach ist das, und auch plausibel. Ich will dieses Land, hören Sie? Mein ganzes Geld steckt in dem Projekt, meine Zukunft hängt daran.«
    Ili nahm den Stift.
    »Sehr gut! Unterzeichnen Sie jetzt.«
    Sie setzte an und führte die ersten Schwünge aus, doch dann hielt sie inne, schüttelte den Kopf.
    »Das ist nicht recht, ich werde es nicht tun. Wenn ich Ihnen erklären dürfte …«
    Seine Hände schlossen sich um ihren Hals, drückten zu.
    Wie ein Vorhang fiel die Schwärze vor ihre Augen.
    Sie spürte nicht, was ihre Hände taten, spürte ihren Kopf nicht, ihre Beine. Nur diese Finger um ihren Hals, die nicht zu ihr gehörten, nur das Fremde …

    Ihre Stimme versagte, selbst die innere. Sie dachte nicht mehr. Kein Wort.
    Kein Bild.
    Kein Geräusch.
     
    Rays Hände gehörten ihm nicht mehr. Es war, als würden sie von irgendjemand anderem benutzt, jemandem, der dachte wie er, der endlich erfolgreich sein und es den anderen zeigen wollte, der es seinem Vater zeigen wollte, der den Wald besiegen und zehntausend Riesen niederzwingen wollte.
    Eine Sekunde, zwei Sekunden …
    Ray zählte. Tatsächlich zählte er, als ginge es darum, eine Pulsfrequenz zu messen.
    Drei, vier.
    Die Finger der Alten legten sich um seine Handgelenke. Natürlich konnten sie nichts ausrichten, doch er spürte die Wärme, die er auszulöschen würde.
    Er verabscheute sich selber.
    Er ließ nicht los.
    Fünf.
    Plötzlich warf ihn etwas um, riss ihn zu Boden. Er sah einen Samoaner, einen jungen Burschen. Für den Bruchteil einer Sekunde verstanden Rays Hände nicht, dass sie keinen Hals mehr hatten, den sie zudrückten, und in diesem Bruchteil traf ihn ein Schlag des Samoaners.
    Ray fiel ein zweites Mal zu Boden. Der Körper des Burschen warf sich auf ihn. Der Samoaner war leicht, Ray schleuderte ihn mühelos von sich.
    Jetzt hatte er sich wieder im Griff. Im Holzlager damals hatten seine Kollegen und er sich manchmal auch mit Boxkämpfen die Zeit vertrieben. Er fing einen Schlag des Samoaners ab und konterte wuchtig, schlug zu, zweimal, dreimal, in den Bauch, ins Gesicht. Der Bursche hatte keine
Chance, war schon halb betäubt. Ray schlug ihn wieder und wieder, hielt ihn mit der Linken am Hemd fest und schlug mit der Rechten auf den Körper seines Gegenübers ein wie ein Automat.
    Von irgendwo hörte er eine Stimme, Anes Stimme, die rief: »Joacino!«
    Dann hörte er Evelyn: »Nein, Ane, nicht!«
    Und dann, gleichzeitig mit einem ohrenbetäubenden Knall, fühlte er einen stechenden Schmerz in der Brust.
    Seine Hände versagten, lösten sich.
    Sein Körper wurde leicht.

14
    Unmöglich, einen schöneren Nachmittag auf Savaii zu erleben.
    Die goldgelbe Sonne thronte über einem wolkenlosen Himmel, und die manchmal unbarmherzige Kraft ihrer Strahlen wurde an diesem Tag von einem leichten, kühlen Wind gemildert. Die Blüten der Büsche wippten munter auf und ab, und gelegentlich löste sich ein Blatt und wehte wie ein Stück buntes Konfetti über den kurz geschorenen Rasen. Seit dem frühen Morgen war Evelyn auf den Beinen und hatte sich um alles gekümmert, was eine Party – oder besser gesagt eine fiafia  – ausmacht. Sie hatte mit Bens Hilfe samoanische Spezialitäten zubereitet und ein paar deutsche hinzugefügt, hatte Ola-Olas besorgt, den Rasen gemäht, die Sträucher geschnitten und Blumen auf Tischen dekoriert.
    Zufrieden blickte sie auf die bunte Schar von Gästen, Samoaner, Europäer und Australier, die mit Sektgläsern, Teetassen oder Kavaschalen im Garten standen und sich
unterhielten. Dort, wo die meisten Menschen standen, war Ili. Es war der 21. Dezember, ihr zweiundneunzigster Geburtstag. Auf einen Stock gestützt, wirkte sie noch ein wenig schwach, und die Versuchung, sie von den Besuchern zu befreien, war für Evelyn groß. Doch sie wusste, dass Ili sich selbst helfen könnte, wenn sie wollte. Ihre Genesung nach der Attacke von Ray Kettner war derart schnell vonstatten gegangen, dass sie einer vierzig Jahre Jüngeren zur Ehre gereicht hätte.
    Es ist das Land, dachte Evelyn. Seit sie weiß,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher