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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya
Autoren: Sarah Benedict
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gesellschaftlichen Schranken gefallen sein würden und alles ein Gemisch aus Musik und Lachen, ein Reigen der Fröhlichkeit werden würde. So verlief eine fiafia nun einmal.
    Vorerst behalf man sich noch mit höflichen Gesprächen. Mr. Dean, der Leiter der pazifischen Sektion der Naturschutzorganisation, berichtete Ili und einigen anderen, welche Maßnahmen man zum Schutz und Erhalt des Waldes von Savaii plane, wobei er mit erhobener Stimme sprach, wohl weil er glaubte, Ili sei vielleicht schwerhörig. Tatsächlich hörte sie ihm kaum zu. Was Mr. Dean vortrug, hatte nichts mit dieser seltsamen Nervosität zu tun, die mit jedem Tag, und seit heute mit jeder Minute, anstieg wie ein Wasserpegel.
    Zum ersten Mal war Ili in der Stunde nach Kettners Mordversuch davon befallen worden. Sie hatte im Bett gelegen. Um sie herum war das reinste Chaos gewesen, weil der Amerikaner in einen Hospitalwagen geschafft worden war und Leutnant Malu mit Handschellen herumgefuchtelt hatte und drauf und dran gewesen war, Ane zu verhaften  – was er dann doch unterließ. Ili jedoch hatte keine große
Notiz von diesen Dingen genommen. Sie lag einfach nur da und dachte die ganze Zeit: Wenn du jetzt gestorben wärst, wäre dein Leben nicht komplett gewesen.
    Ja, dachte sie auch jetzt, umringt von Gästen, etwas fehlt noch in meinem Leben. Etwas ist unerledigt geblieben.
    Sie sah, wie sich unten an der Bucht zwei Menschen in die Arme fielen, miteinander sprachen, erneut in die Arme fielen. Evelyn und Carsten. Gestern war Carsten ohne Evelyns Wissen zu ihr, Ili, gekommen und hatte um Erlaubnis gebeten, im Papaya-Palast einzuziehen. »Ich habe die Zeit zum Nachdenken gebraucht. Vorher, wissen Sie, habe ich jahrelang überhaupt nicht nachgedacht, jedenfalls nicht über Evelyn und mich und Julia, nicht über unser Zusammenleben. Einen ganzen Monat habe ich nichts anderes getan, als zu denken, und ich weiß jetzt, dass ich da sein will, wo auch Evelyn ist. Ich hoffe, sie will mich noch.«
    »Oh, sie will Sie, mein Lieber. Und mir sind Sie herzlich willkommen. Aber haben Sie sich das wirklich gut überlegt? Was werden Sie hier auf Samoa tun?«
    Carsten hatte schelmisch gezwinkert und gesagt: »Raten Sie mal, wer künftig für die Naturschutzorganisation als Lobbyist arbeiten wird. Ich werde viel unterwegs sein, aber ich werde immer wieder zurückkommen. Zu Evelyn. Nach Hause.«
    Etwas Ähnliches musste er heute zu Evelyn gesagt haben, denn sie hielten sich so fest, als wollten sie sich nie wieder loslassen.
    Sie hat ihr Leben wieder in die Hand genommen, dachte Ili, mit neuen Schwerpunkten, mit neuem Glauben. Sie ist wieder imstande, etwas zu schaffen.
    Das, was noch unerledigt war, was Ili in Unruhe versetzte, hatte nichts mit Evelyn zu tun.
    Hier, spürte sie, würde sie nicht finden, wonach sie suchte.
Daher löste sie sich unauffällig von der Geburtstagsgesellschaft und ging ins Haus hinein.
    Sie sah sich um. Das Dach war repariert, die Folgen des Brandes waren beseitigt worden. Die Bücher standen dort, wo sie immer standen, so als habe Tristan sie eben erst in die Regale eingeräumt; Blumenduft zog durchs Haus, die Bougainvilleen schimmerten vor dem Fenster, ein paar harmlose Fliegen schwirrten umher und genossen die Kühle der Zimmer. Die Seele des Hauses war intakt. Die Dinge waren zwar nicht mehr so, wie sie vor wenigen Wochen gewesen waren, aber nur deshalb, weil das Schlechte verschwunden und das Gute geblieben war. Nach Jahren und Jahrzehnten des Krieges gegen Ivana und Moana und die Phantome der Vergangenheit war etwas Neues in ihr Leben getreten, etwas, mit dem sie fast nicht mehr gerechnet hatte: Frieden. In diesem Haus, im Papaya-Palast, herrschte jetzt Frieden, und das war alles andere als beunruhigend.
    Vom Inneren des Zimmers aus gesehen, war der Fensterrahmen vom Grün des Gartens und von fröhlich plaudernden Menschen erfüllt. Ili beobachtete, wie Joacino in einem klapprigen Wagen mit Ladefläche vorfuhr und zu den Festgästen trat. Der junge Mann kam regelmäßig vorbei und ging ein paar Schritte mit Ili spazieren. Dabei erzählte er von seinen Besuchen bei Ane und sprach enthusiastisch von der Zeit, wenn sie wieder frei wäre.
    Er klopfte mit dem Finger an die Scheibe, kam herein und gratulierte ihr: »Ich habe Ihnen eine meiner Zuchtperlen mitgebracht, die größte und schönste natürlich. Hoffentlich gefällt sie Ihnen.«
    »Sie ist wunderschön«, bestätigte Ili und freute sich über die Aufmerksamkeit des jungen
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