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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand
Autoren: Amos Oz
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Wasser dieForm von Schnee, Dunst, Dampf, Eisbrocken, Wolkenfetzen oder Hagel annehmen kann. Oder wie die Kloster- und Kirchenglocken des Dorfes sich in Klang und Takt unterschieden, aber dasselbe Ziel verfolgten. Diese Gedanken teilte er den Mädchen mit, von denen zwei es glaubten, während die dritte ihn ›mein Geliebter‹ nannte und sich damit begnügte, seine Hemden zu flicken, und auch darin sah Fima nur verschiedene Ausdrucksformen desselben Inhalts. Das zurückhaltende Mädchen, Jael Levin aus Javne’el, weigerte sich nicht, an ihren gemeinsamen Nacktbädern in milden Vollmondnächten teilzunehmen, wenn sie eine Quelle oder einen Bach fanden. Einmal sahen sie aus der Ferne verstohlen einen etwa fünfzehnjährigen Schafhirten seinen Trieb bei einer Ziege befriedigen. Und einmal sahen sie zwei fromme alte Frauen in schwarzer Witwenkleidung mit großen Holzkreuzen auf der Brust am hellen Mittag mitten auf dem Feld stumm und reglos mit gefalteten Händen auf einem Stein sitzen. Eines Nachts hörten sie aus einer leeren Ruine Singen. Und einmal begegnete ihnen unterwegs ein alter, runzliger Mann, der im Gehen auf einem kaputten Akkordeon spielte, das keinen Ton mehr von sich gab. Am nächsten Morgen ging ein kurzer, starker Schauer nieder, eine Art griechischer Spätregen, und die Luft wurde derart klar, daß man über große Entfernungen hinweg die Eichenwipfel schemenhaft über den roten Ziegeldächern der kleinen Dörfer in den Tälern schwanken sah, während dunkle Zypressen- und Kiefernwäldchen sich fast Nadel für Nadel auf den fernen Berghängen abhoben. Ein Berg trug noch eine Schneekappe, die wegen des tiefen Himmelsblaus nicht weiß, sondern sattsilbern schimmerte. Auch Vogelschwärme schwebten wie im Schleiertanz über sie hinweg. Fima sagte plötzlich ohne Grund oder Zusammenhang etwas, das die drei Mädchen zum Lachen brachte: »Hier«, sagte er, »liegt der Hund begraben.«
    Ilia sagte: »Ich fühle mich träumender als im Traum und wacher als im Wachen. Man kann es nicht erklären.«
    Liat meinte: »Es ist das Licht. Einfach das Licht.«
    Und Jael: »Wer hat Durst? Gehn wir ans Wasser runter.«
    Knapp einen Monat nach Ende dieser Reise fuhr Fima nach Javne’el, um das dritte Mädchen zu suchen. Er erfuhr, daß Jael Levin Luftfahrttechnik am Haifaer Technikum studiert hatte und in einer geheimen Luftwaffenanlage in den Bergen westlich von Jerusalem arbeitete. Nach fünf oder sechs Begegnungen fand er, daß ihre Nähe ihm Ruhe einflößte und seine Nähe sie auf ihre gemäßigte Weise amüsierte. Als er sie zögernd fragte,ob sie nach ihrer Ansicht zueinander paßten, antwortete Jael mit den Worten: Du redest ziemlich schön. Darin meinte er einen Anflug von Zuneigung zu sehen. Die er in sein Herz schloß. Danach suchte und fand er Liat Sirkin und saß eine halbe Stunde lang mit ihr in einem kleinen Strandcafé, nur um sicher zu sein, daß sie nicht von ihm schwanger war. Aber nach dem Kaffee ließ er sich erneut dazu verleiten, mit ihr zu schlafen, in einem billigen Hotel in Bat-Jam, und war nun wieder nicht sicher. Im Mai lud er alle drei nach Jerusalem ein und stellte ihnen seinen Vater vor. Der Alte faszinierte Ilia mit seinen Kavaliersmanieren im alten Stil, unterhielt Liat mit lehrreichen Anekdoten und Fabeln, zog beiden aber Jael vor, bei der er »Anzeichen von Tiefe« wahrnahm. Fima stimmte ihm zu, obwohl er keineswegs sicher war, worin diese Zeichen bestanden. Trotzdem ging er weiter mit ihr aus, bis sie einmal zu ihm sagte: »Sieh mal dein Hemd an. Halb in der Hose und halb draußen. Warte. Ich bring’s in Ordnung.«
    Und im August 1961 saßen Jael und Efraim Nissan schon verheiratet in einer kleinen Wohnung, die ihm sein Vater am Ende von Kiriat Jovel, am Rand Jerusalems, gekauft hatte, nachdem Fima im Beisein eines Notars ergeben ein ihm vom Vater vorgelegtes Dokument unterzeichnet hatte, in dem er sich unwiderruflich verpflichtete, künftig jede Handlung zu unterlassen, die sein Vater als »Abenteuer« bezeichnen würde. Außerdem versprach er darin, nach Ablauf des verlorenen Jahres sein Magisterstudium aufzunehmen. Der Vater seinerseits verpflichtete sich in der besagten Urkunde, das Studium seines Sohnes und Jaels Ausbildung zu finanzieren, und versprach den beiden sogar einen bescheidenen monatlichen Zuschuß für die Dauer der ersten fünf Ehejahre. Damit verschwand Fimas Name aus den Jerusalemer Stadtgesprächen. Die Abenteuer hörten auf. Das Jahr des Geißbocks machte dem der
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