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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand
Autoren: Amos Oz
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gelungen, seine Fährte aufzuspüren und ihm mitzuteilen, daß seine Jerusalemer Geliebte die Leibesfrucht verloren habe, in Depression versunken und bereits zu Ehemann und Kunstsammlung zurückgekehrt sei. Fima, der sein Handeln nun für völlig unverzeihlich hielt, beschloß schweren Herzens, sich sofort von der Pensionswirtin zu trennen und den Frauen für immer fernzubleiben. Eine Liebesverbindung führe unweigerlich zu Unheil, dachte er, während liebesfreie Verbindungen nur Erniedrigung und Unrecht brächten. Er verließ Malta völlig mittellos an Deck eines türkischen Fischdampfers, in der Absicht, sich für mindestens ein Jahr in ein bestimmtes Kloster auf Samos zurückzuziehen. Unterwegs packte ihn das Grauen bei dem Gedanken, seine Exfrau könne womöglich ebenfalls schwanger sein, und er erwog, zu ihr zurückzukehren, meinte dann jedoch, es sei klug gewesen, ihr sein Geld, aber keinerlei Anschrift zurückzulassen, so daß sie ihn nirgends suchen konnte. Er ging in Saloniki von Bord, verbrachte eine Nacht in der Jugendherberge, und dort träumte er in süßem Schmerz von seiner ersten Liebe, Nicole, deren Spuren er in Gibraltar verloren hatte. Im Traum hieß sie plötzlich Therese, und Fima sah, wie sein Vater Therese und das Baby im Keller des Jerusalemer YMCA-Gebäudes mit geladenem Jagdgewehr gefangenhielt, wurde aber erst gegen Ende des Traums selber zu dem gefangenen Kind. Am nächsten Morgen stand er auf und machte sich in Saloniki auf die Suche nach einer Synagoge, obwohl er nie die Religionsgesetze eingehalten hatte und fest glaubte, daß Gott weder fromm war noch sich für Religion interessierte. Aber da er keine andere Anschrift hatte, beschloß er, halt einmal dort nachzusehen. Vor der Synagoge traf er drei junge Mädchen aus Israel, die auf einer Rucksacktour durch Griechenland warenund eben in die nördlichen Bergregionen weiterziehen wollten, denn inzwischen war der Frühling angebrochen. Fima schloß sich ihrem Treck an. Unterwegs fand er, dem Vernehmen nach, Gefallen an einer der drei, Ilia Abarbanel aus Haifa, die für ihn große Ähnlichkeit besaß mit Maria Magdalena auf einem Gemälde, von dem er sich partout nicht erinnern konnte, wo er es gesehen hatte und von wem es stammte. Und da Ilia sein Werben nicht erhörte, schlief er ein paarmal mit ihrer Gefährtin Liat Sirkin, die ihn in ihren Schlafsack eingeladen hatte, als sie eine Nacht in irgendeinem Gebirgstal oder heiligen Hain verbringen mußten. Liat Sirkin lehrte Fima zwei, drei sonderbare, durchdringende Genüsse, und er meinte, über das erhebende fleischliche Vergnügen hinaus auch feine Anzeichen geistiger Freuden zu empfinden: Fast schon von Tag zu Tag stärker erfaßte ihn eine geheimnisvolle Bergeslust, verbunden mit einem Wonnegefühl, in deren Folge solch scharfe Beobachtungsgaben in ihm erwachten, wie er sie noch nie gekannt hatte, weder vorher noch nachher. Damals in den Bergen Nordgriechenlands konnte er den Sonnenaufgang hinter einem Olivenhain betrachten und die Schöpfung der Welt darin erblicken. Oder in der Mittagshitze an einer Schafherde vorbeikommen und dabei die absolute Gewißheit erlangen, daß er jetzt nicht zum ersten Mal lebte. Oder auf der weinbewachsenen Terrasse eines Dorfgasthauses bei Käse, Salat und Wein sitzen und mit eigenen Ohren den Schneesturm über die Tundren des Polarkreises tosen hören. Auch spielte er den Mädchen auf einer Querflöte vor, die er aus Schilfrohr gebastelt hatte, und schämte sich nicht, vor ihnen zu tanzen und zu springen und kindliche Späße zu treiben, bis er ihnen glockenreines Mädchenlachen und schlichte Freude entlockte. Die ganze Zeit über sah er keinen Widerspruch zwischen seiner schmachtenden Sehnsucht nach llia und den Nächten mit Liat, achtete aber kaum auf die Dritte im Bunde, die meist Schweigen wahrte. Dabei hatte gerade sie ihm den Fuß verbunden, als er barfuß in eine Glasscherbe getreten war. Die drei Mädchen und auch die anderen Frauen, die es in seinem Leben gegeben hatte, einschließlich seiner Mutter, die in seinem zehnten Lebensjahr gestorben war, verschmolzen in seinen Augen fast zu einer einzigen. Nicht etwa, weil er meinte, Frau sei gleich Frau, sondern weil es ihm in der Festbeleuchtung, die sein Inneres überflutete, manchmal schien, als gebe es die Unterschiede von Mensch zu Mensch, zwischen zwei Menschen, gleich ob Mann, Frau oder Kind, nicht wirklich, außer vielleicht in der äußerlichsten Schicht, der wechselnden Schale: wie das
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