Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenwald

Der Drachenwald

Titel: Der Drachenwald
Autoren: Anu Stohner
Vom Netzwerk:
einen Riesenbammel gehabt haben, dass ich nicht mal das gemerkt hatte. (Okay, ich hatte ihn gehabt, warum drum herum erzählen. Und wenn ihr es genau wissen wollt: Ich hatte ihn immer noch.)
    »Siehst du was?«, flüsterte ich, als Robert den Kopf ins Freie streckte.
    »Guck selber!«, flüsterte er zurück.
    Also streckte ich auch den Kopf ins Freie, aber ich kam nicht weit, da zog mich Robert an der Kapuze meines Pullis zurück, dass er mir fast den Hals verrenkte.
    |37| »Der Helm, Mann!«, zischte er, und er hatte natürlich recht. Mein Helm ist feuerrot mit Flammen außen herum und vorne einem Totenkopf. Ich hab ihn mir selbst kaufen dürfen, und er war im Sonderangebot, darum konnte man ihn auch nicht umtauschen. Nicht mal meine Mutter konnte es, und die kriegt sonst alles umgetauscht. Den Helm hätte zwischen grünen Blättern jeder Blindfisch gesehen, und die Wächter auf den Türmen von Burg Wolfeck hatten Adleraugen, hatten unsere Wackerburger Freunde erzählt.
    Also nahm ich den Helm ab. Dann bog ich vorsichtig ein paar Zweige beiseite und sah, was ich erwartet hatte: Keine zwanzig Schritte entfernt ragte die schwarze Burgmauer von Wolfeck auf und sah so glatt aus, dass vielleicht eine Eidechse hinaufkam, aber bestimmt kein Mensch (und ich schon gar nicht, ich bin nämlich eine Niete im Klettern). In der glatten schwarzen Mauer war rechts von uns das Burgtor aus dicken schwarzen Balken, und vor dem Tor stand die Torwache, ein Hüne mit einer Lanze, die vorne aussah wie ein Beil mit einem Sporn oben und am hinteren Ende. Hätte ich so was nicht aus Ritterbüchern gekannt, wäre ich wahrscheinlich vor Angst in Ohnmacht gefallen.

    |39| »Wow!«, rutschte es mir (zum Glück im Flüsterton) heraus.
    »Wieso, der guckt doch nicht mal her«, flüsterte Robert, als wären Hünen mit Lanzen nur ein paar Schritte entfernt das Normalste von der Welt.
    Aber was Robert sagte, stimmte sogar. Der Wächter guckte wirklich nicht her. Er schaute durch ein kleines rundes Guckloch im Tor nach draußen. Bestimmt wollte er nicht verpassen, wie die abgehetzten Wilden Wölfe zurückkamen. Ich schätzte, dass das Guckloch in ungefähr zwei Metern Höhe ins Tor gebohrt war, aber der Hüne musste sich zum Hinausschauen trotzdem fast bücken.
    »Wow!«, rutschte es mir zum zweiten Mal (zum Glück wieder im Flüsterton) heraus.
    »Jetzt krieg dich wieder ein«, flüsterte Robert. »Guck lieber mal nach oben!«
    Ich guckte nach oben, und jetzt sah ich zum ersten Mal, wo genau wir in der Raubritterburg hingeraten waren: Das Dickicht, in dem wir steckten, wuchs direkt am Burggebäude, wie eine Hecke an einem ganz normalen Haus, nur viel größer, weil eben die Burg viel größer war. Ich bin nicht richtig gut im Schätzen, aber die |40| ersten schmalen Fenster der Burg waren mindestens so hoch oben wie die Fünfmeterplattform am Sprungturm in unserem Schwimmbad (von der
ich
nicht runterspringe, falls das jemanden interessiert, Robert schon, klar). Die Hecke war riesig. Sie ragte weit in den Hof hinein und reichte bis fast zu den Fenstern hinauf. Kein Wunder, dass ich erst gedacht hatte, wir wären in einem Wald.
    »Siehst du die Turmwache über uns?«, fragte Robert.
    Über der Stelle, wo wir in der Hecke steckten, ragte einer der Türme der Burg so steil in die Höhe, das mir vom bloßen Hochschauen schwindlig wurde.
    »Nein, du?«, fragte ich und schaute schnell wieder runter.
    »Nur einen ausgestreckten Arm«, sagte Robert, der nicht versteht, warum ich mich nicht vom Fünfmeterturm traue, weil er nicht versteht, wie es jemand überhaupt schwindlig werden kann. »Wahrscheinlich hat er auf einen rennenden Kackspecht gezeigt.«
    Dann fing er an zu kichern (Robert jetzt). Ich dachte, ich höre nicht recht. Wir saßen in einer Raubritterburg gefangen, und mein Freund Robert |41| machte Witze. Jetzt fingen auch noch seine Schultern an zu zucken. Das kannte ich. Gleich kriegte er einen Lachanfall. Nein, den hatte er schon. Er schüttelte sich vor Lachen, und da passierte es: Das Visier klappte runter.
    »Klack!«, machte es genau im selben Augenblick, als der Hüne am Tor beiseitetrat, um die Wilden Wölfe wieder hereinzulassen. Sie waren noch nicht beim Tor angekommen, aber er hatte es ihnen schon aufgemacht. Es hatte wieder in den Angeln gequietscht, aber genau als Roberts Visier »klack!« machte, quietschte es nicht mehr.
    »Halt, wer da?«, rief der Hüne und fuhr so schnell herum, wie man’s ihm bei der Größe gar nicht zugetraut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher