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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis
Autoren: Richard Doetsch
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schalteten den Strom wieder ein. Michael beobachtete, wie sie zum Gefängnisbau zurückgingen. Der leitende Wachmann nahm einen Schlüsselring vom Gürtel und öffnete die Tür. Dann verschwanden beide im Innern. Die Tür fiel hinter ihnen krachend ins Schloss.
    Michael schlich zurück zum Verteilerkasten, stellte den Strom ein drittes Mal ab und versteckte sich wieder in der Dunkelheit.
    Dieses Mal dauerte es zehn Minuten, bis die Wachmänner kamen, und dieses Mal konnte man sie trotz des Dröhnens des Generators laut und deutlich fluchen hören. Vor Zorn fiel ihnen Michael gar nicht auf, obwohl er nur einen Meter von ihnen entfernt in der Dunkelheit stand.
    Michael zog eine der Pistolen und drückte ab.
    Beide Wachmänner waren tot, bevor sie auf dem Boden aufschlugen.
    Michael steckte die Pistole rasch zurück in seinen Holster, bückte sich und nahm den beiden Wachmännern ihre Waffen, Schlüssel und Funkgeräte ab. Dann nahm er sich die Jacke des leitenden Wachmanns, zog sie an, setzte den Hut des Mannes auf und machte sich auf den Weg zum Gefängnis.
***
    Michael schob den Schlüssel in die Seitentür, die in den Gefängnisbau führte. Ein eisiger Schauer durchlief ihn; er hasste Gefängnisse mehr als alles auf der Welt. Für ihn waren sie Orte, an denen man bereits mit einem Fuß in der Hölle stand. Er hatte drei Jahre in Sing Sing verbracht, und diese Zeit bereitete ihm immer noch Albträume.
    Doch er schüttelte diese Gedanken ab, konzentrierte sich, öffnete die Tür und betrat einen rechteckigen, verliesartigen Raum. Ein stechender Geruch hing in der Luft. Es gab nur zwei Möbelstücke: einen Tisch und einen Stuhl, die einander direkt gegenüberstanden. Der Fußboden war zur Mitte hin leicht abschüssig. Dort befand sich ein Abfluss, von dunklen Flecken umgeben, die nach außen auf die Möbelstücke zuliefen. Michael sah sich beides genauer an. Die Möbel waren klobig, aus dickem, schwerem Holz und mit dunklen Rückständen verklebt, die einen scheußlichen Geruch verströmten. Michael taumelte zwei Schritte zurück, als ihm klar wurde, was er vor sich hatte: Der schwere Tisch verdankte seine Kerben den zahllosen Enthauptungen, und beim elektrischen Stuhl waren die Brandspuren an den Armlehnen und der Rückenlehne zu sehen.
    Michael machte, dass er aus dem grauenvollen Raum herauskam. Er gelangte auf einen Gang und hielt erst einmal inne, um sein Entsetzen niederzukämpfen.
    Aus den Informationen, die er auf die Schnelle hatte sammeln können, war hervorgegangen, dass Chiron unter Geldmangel litt, was sich schon daran zeigte, dass hier keine Wachen patrouillierten. Michael wusste, dass das Gefängnis auf planlose, beinahe chaotische Art und Weise geführt wurde und dass das Pflichtgefühl der Wachmänner von Bitterkeit und Zorn geschmälert wurde, da sie kaum besser behandelt wurden als die Gefangenen. Der Gedanke, dass jemand versuchte, hier auszubrechen, wurde mit schallendem Gelächter quittiert; deshalb wusste Michael, dass man mit einen Einbruch am allerwenigsten rechnete. Aus welchem Grund sollte sich jemand, der bei gesundem Verstand war, in diese Hölle auf Erden begeben?
    Fast lautlos eilte Michael den Gang hinunter, lauschte auf Geräusche und hielt nach Bewegungen Ausschau. Vor Anspannung schlug ihm das Herz bis zum Hals. Normalerweise machte es ihm Spaß, Sicherheitssysteme zu überlisten, doch hier empfand er nichts als Furcht, denn er hatte keine Ahnung, in welchem Zustand sein Freund Simon war. Wenn er verletzt war, würde Michael ihn hinaustragen müssen.
    Er bahnte sich seinen Weg durch den Gang und blickte durch die schmalen, schlitzförmigen Fenster, die jeweils in die Mitte der massiven Holztüren eingelassen waren. Die Zellen dahinter waren klein und dunkel. Beißend hing der Gestank menschlicher Exkremente in der Luft.
    Michael huschte den Gang hinunter. Es gab zehn dieser Türen, doch die ersten sechs Zellen waren leer. Er erreichte die siebte Zelle und lugte durch die schmale, mit Gitterstäben gesicherte Öffnung. Eine Gestalt kauerte auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand. Michael konnte nur mit Mühe die Umrisse erkennen.
    »Simon?«, flüsterte er.
    Der Kopf der Gestalt ruckte hoch. Kein Wort fiel, als sie sich erhob und zur Tür kam.
    Erst jetzt erkannte Michael, dass es nicht Simon war. Diese Person hier war kleiner, die Schultern schmaler. Michael hob seine Taschenlampe, knipste sie ein und leuchtete in die Zelle. Da das schmutzige Haar nicht das ganze Gesicht bedeckte,
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