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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis
Autoren: Richard Doetsch
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Er hatte etwas gefunden, von dem er geglaubt hatte, es für immer verloren zu haben.
***
    Jetzt, da er auf den Abendbrottisch starrte, auf die ungeöffnete Flasche Wein und die frischen Blumen, fragte er sich, wie er so dumm hatte sein können. Schon vor vier Tagen hatte KC zurück sein wollen. Sie hatte nicht angerufen, hatte sich nicht gemeldet. Er selbst hatte ihr zahlreiche Nachrichten hinterlassen, aber keine Antwort erhalten. Er fühlte sich wie ein Narr, der sein Herz geöffnet und seine Seele ausgebreitet hatte, weil er so naiv gewesen war zu glauben, noch einmal Liebe zu finden.
    Michael tröstete sich mit dem Gedanken, dass er Mary gehabt hatte. Er verdrängte seine Gefühle und vertrieb Katherine Colleen Ryan aus seinem Gedächtnis.
    Er räumte gerade die unbenutzten Teller vom Tisch, als es an der Haustür klopfte. Das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, und seine drei Hunde begannen wie verrückt zu bellen.
    Michael ging durchs Wohnzimmer, bedeutete den Hunden, still zu sein, und öffnete die Haustür. Ein hochgewachsener, schlanker, durchtrainierter Mann stand auf der Vortreppe. Seine Augen waren wach und klar, das graumelierte Haar perfekt frisiert. Er trug eine blaue Sportjacke und eine hellbraune Hose mit scharfen Bügelfalten. Alles an dem Mann war exakt und präzise.
    »Hi, Michael«, sagte Stephen Kelley.
    »Hi, Dad«, erwiderte Michael erstaunt.
    »Bist du allein?«, fragte sein Vater und lugte an ihm vorbei ins Haus.
    »Könnte man sagen. Komm rein. Was ist los?«
    »Es geht um Simon.«

1.
    D er orkanartige Wind zerrte an Michaels Haar und seiner Kleidung und ließ die Haut auf seinen Wangen brennen. Sein Körper befand sich in perfekter Lage: Arme und Beine waren zur Seite ausgestreckt, um die Richtung des Falls beeinflussen zu können. Erst fünf Sekunden waren vergangen, seit er aus dem Flugzeug gesprungen war, und doch hatte er bereits eine Fallgeschwindigkeit von zweihundert Stundenkilometern erreicht.
    Michael warf einen kurzen Blick auf den Höhenmesser an seinem Handgelenk und sah, wie die Zahlen immer weiter in Richtung der Viertausend-Fuß-Marke fielen, an der sich der Fallschirm öffnen musste. Obwohl er ein erfahrener Fallschirmspringer war, ging er kein Risiko ein und zog die Reißleine, kaum dass er den kritischen Punkt erreicht hatte. Der Fallschirm öffnete sich und riss ihn wieder ein Stück in die Höhe.
    Jedes Mal, wenn Michael seinen Fallschirm öffnete, vergewisserte er sich, dass er jederzeit nach dem Hakenmesser an seinem Gürtel greifen konnte. Obwohl er den Schirm vor jedem Sprung selbst packte, befürchtete er stets, sich darin zu verfangen; dann hätte er den Hauptschirm wegschneiden müssen, um noch rechtzeitig den Reserveschirm öffnen zu können. Er wusste, dass beim Fallschirmspringen nur in den seltensten Fällen ein Anfänger zu Tode kam; viel häufiger ereilte dieses Los erfahrene Springer, die sich zu viel zutrauten.
    Michael griff nach den Steuerleinen des Gleitschirms und schwebte auf den Rand des Plateaus zu. Das Zuchthaus stand auf einer Klippe, die eher einem Tafelberg in Wyoming ähnelte als einem Berg in der Wüste Akbikistans. Die Lichter des Gefängnisses waren im Umkreis von achtzig Kilometern die einzigen Anzeichen von Zivilisation. Chiron war ein imposantes Bauwerk, das aussah, als wucherte es aus der Erde heraus – oder aus der Hölle, was besser gepasst hätte. Es gab keinen Stacheldraht und keine Zäune; die Lage und die Höhe des Gefängnisses – tausend Meter über der lebensfeindlichen Wüste – waren viel wirksamer als jeder Drahtverhau.
    Der Halbmond am wolkenlosen Nachthimmel tauchte die Welt in einen dunklen Blauton, ließ die Felsklippen weniger scharf erscheinen und färbte auch die Wüste, sodass sie fast so beruhigend wirkte wie das Meer.
    Einen halben Kilometer vom Gefängnis entfernt landete Michael weich auf der Kante des Tafelberges. Er zog den Gleitschirm ein, rollte ihn zusammen, legte das Gurtzeug ab und stopfte es unter einen Baum. Dann löste er den Karabinerhaken, an dem vor seiner Brust die schwarze Tasche hing, kniete sich auf den Boden und öffnete sie.
    Er nahm zwei 9mm-Pistolen heraus – geölt und im Holster – und legte sie sich um. Michael hasste Schusswaffen und hatte nie welche eingesetzt, bis Simon ihm beigebracht hatte, wie man sie benutzte, aber an seiner Abneigung hatte das nichts geändert. Doch weil er allein in das Gefängnis eindrang und es mit einer Gruppe bewaffneter Wachen zu tun bekommen
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